Abenteuer Bundesliga
Nachdem es dem FC St. Pauli im ersten Spiel des neuen Jahres
geglückt war mit einem Sieg über Wolfsburg ein Lebenszeichen
zu senden und den Anschluß an die Nichtabsteigerränge zu wahren,
stand mit den Spielen in Rostock, gegen die Bayern und auf Schalke binnen
7 Tagen eine englische Woche besonderer Brisanz an.
Als wir dann mit fast konstanten 180 Sachen Rostock entgegen
flogen, waren wir uns alles andere als sicher, an diesem Sonntag die richtige
Entscheidung bezüglich des zu supportenden Kicks getroffen zu haben.
Denn die auch irgendwie aktive Teilnahme an diesem Nordderby kostete und
mal so eben das Pokalfest unserer Ersten gegen LVB. Als wir dann vom sensationellen
Sieg und seinen Auswirkungen (Zuschauerrekord, Stimmung wie noch nie,
zur HZ Bier alle usw.) berichtet bekamen, halt dem größten
Spiel unserer Vereinsgeschichte, wuchs der Druck auf uns, den FC St. Pauli
und alles was dazwischen liegt ins Unermeßliche, war nun doch klar
geworden, daß wir jetzt in Rostock "auch was großes"
sehen mußten um nicht gänzlich als die Volldeppen nach Hause
zu kommen. Der eindrucksvolle Sieg in der Vorwoche hatte mich entgegen
sonstiger Gowohnheit sogar einen Auswärtssieg vorhersagen lassen
(meistens diktiere ich pessimistische Tipps ins Protokoll, wahrscheinlich
will ich mich bewußt selbst überraschen...).
Am Gästeblock ankommend balästigten uns erstmal
gut 200 Faschos, Hools, die noch an ihrem Eingang dirkt neben dem Gästebereich
abhingen, mit ihrem ärgerlichen Anblick. Die Hamburger Zugfraktion
war bereits im Stadion, insgesamt mögen es vielleicht 700 bis 800
St. Pauli - Fans gewesen sein, ziemlich dünn wie ich finde, bei so`nem
Derby. Sicher war eine Fahrt nach Rostock vielen Leuten aufgrund der vergangenen
Duelle beider Vereine, nach denen z.B. schon Fanbusse der St. Paulianer
massiv mit Steinen angegriffen wurden, oder Hansa einige Spiele Platzsperre
erhielt, zu riskant. Allerdings halte ich es für relativ unwahrscheinlich,
daß ein so großer Mob wie die Hamburger Zugfahrer ernsthaft
angreifbar ist. Die "Dummen" sind doch dann schon eher die Klein
und Kleinstgruppen St. Pauli-Fans von sonstwo, die auf sich allein gestellt
sind.
In der ersten Hälfte war die Stimmung im Gästeblock
noch ziemlich gut, auf dem Rasen konnten die Kiezkicker die Partie offen
gestalten, wenn auch Hansa noch die etwas gefährlichere von zwei
harmlosen Mannschaften war. Nach der Pause nahm St. Pauli dann einige
Male recht erfolgsverheißend Kurs auf`s gegnerische Gehäuse,
versagte dann aber stets noch rechtzeitig beim finalen Pass (Rahn 3m über
den frei stehenden Rath) oder beim Abschluß (Rath mit "Rückpass"
auf Schober im Hansa-Tor, der seit dem letzten Spieltag der letzten Saison
leider immer noch nicht`s dazugelernt hat und wieder sicher hielt...).
Hätte St. Pauli / Wenn St. Pauli / Aber falls St. Pauli in dieser
Phase getroffen (hätte), wäre Rostock mit Sicherheit nicht nochmal
ins Spiel zurück gekommen. Nach `ner guten Stunde geriet das Geschehen
auf dem Rasen dann leider etwas in den Hintergrund, denn im Block neben
dem Gästebereich hatten sich gut 300 Hassfressen aufgebaut, die extrem
nervten und wohl auch gerne zu uns `rüber gekommen wären, was
Bullen und Ordner (die allerdings keinen Tick symphatischer wirkten) aber
zu verhindern wußten.
Blöd fand ich in diesem Zusammenhang, daß ein Großteil
der St. Paulianer sich von nun an ausschließlich diesen Primaten
annahm, anstatt das Team zu supporten. Klar kann man diesem Abschaum mal
1, 2 Minütchen klarmachen, was man von ihm hält. Aber ihm den
Rest des Spiels über seine Aufmerksankeit zu schenken, in völlig
unironischem, niveaulosen Gepöbel aufzugehen und dabei jegliche Klasse,
die den St. Pauli-Anhang eigentlich ausmacht (sollte!), missen zu lassen,
war echt nicht nöig!
Kein Wunder, daß einige Leute vor mir den Elfer fast
verpaßten, den Hirsch in der 82. Minute zum völlig überflüssigen
Siegtreffer für Hansa einschob. Aus - vorbei - saubitter! Nach dem
Abpfiff mußten wir noch fast `ne 3/4-Stunde im Stadion bleiben.
Die Bullen hatten ganz schön Probleme die vielleicht knapp 500 Schäume,
die sich vor dem Gästeausgang breit gemacht hatten, in den Griff
zu bekommen und abzudrängen. Leider bewies uns dann noch ein Hamburger,
daß es auch im St. Pauli-Anhang geistige Bruchpiloten gibt. Weil
Sie schuld an seiner Arbeitslosigkeit seien, solle man nämlich alle
Ossis mal so eben vergasen, sprachs und trollte sich von dannen, als ihm
bewußt wurde, daß er sein kleines Geheimnis (oder auch nicht)
gerade St. Pauli-Fans aus dieser Zielgruppe gestanden hatte.
Wir malten uns derweil den zu erwartenden Spießrutenlauf
durch einen angrenzenden Park zum knapp 2 Kilometer weit stehenden Auto
aus, nachdem die Hamburger mit Busshuttle und Eskorte zu ihrem Zug gebracht
werden würden. Doch erfreulicherweise gestaltete sich unser Abmarsch
dann doch völlig easy, außer, daß wir trotz Spritmangels
nicht die einzige Tanke zwischen Stadion und Autobahn anfuhren, was mit
der dortigen Kundschaft zu erklären ist. An der ersten Autobahntanke
trafen wir dann noch die dümmsten Schweine des laufenden Jahres (Personenbeschreibung:
um die 20 Lenze, Kleidung rechtscodiert, Tankstellen- und Großraumdiscosozialisiert,
rattenstraff). Zunächst war einer nicht in der Lage, einen St. Pauli-Fan
als einen solchen zu erkennen, obwohl dieser einen St. Pauli-Totenkopfpulli
trug. Getoppt wurde der Schlaumeier allerdings noch von seinem Kumpel,
der beim Versuch aus dem gängigen Sortiment von Milka-Schokolade
"Vollmilch" rauszusuchen von der Verkäuferin erlöst
werden mußte, da er dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Beim verlassen
der Tanke bemerkten wir erst, daß 50 Meter weiter vorne ein ganzer
Bus voller Faschos parkte, ooops. Dies beweist schon, daß es wirklich
so ist, daß gegen St. Pauli immer wieder unzählige Faschos
aus der ganzen Zone nach Rostock fahren, die sonst nie zu Hansa gehen.
Aber solange von Seite der eigentlichen Hansa-Szene nichts kommt, keine
noch so einfache symbolische Aktion, in der man auf deutliche Distanz
zu diesem Schaum geht und sich die Vereinnahmung durch diesen verbittet,
solange müssen sich auch korrekte Hansa-Fans dafür an die Nase
fassen lassen, was rund um diese Spiele passiert.
Zwei Tage lang konnte ich mir anhören wie bekloppt
es doch gewesen war, unsern Pokalsieg mutwillig verpaßt zu haben.
Aber dann kam er, dieser geschichtsträchtige Mittwoch, der mich zuletzt
lachen ließ. An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen,
daß es für mich völlig unverständlich ist, daß
wir beim Roten Stern nichtmal die 10 Karten, die wir reserviert hatten,
vergeben konnten. Ein Heimspiel am Millerntor gegen die Bayern, was wollt
ihr denn noch?!
Wenn ich sehe wieviele Leute hier ständig vorgeben,
sich für den FC St. Pauli zu interessieren, fehlt mir echt jegliches
Verständnis dafür, daß wir zu so einem Spiel ein lächerliches
Auto voll bekommen. Mal davon abgesehen, daß es vor dem Hamburger
Fanladen extrem peinlich ist, ständig die Hälfte der Karten
anzugeben.
Wenn schon nach Hamburg, denn schon mit BAFF - Ausstellung,
dachten wir uns und fanden uns schon gegen 16 Uhr am DGB-Gebäude
in Hamburg ein, wo die Wanderausstellung gezeigt wird. Allerdings mußten
wir feststellen, daß auf Grund von Platzmangel ein größerer
Teil des Ganzen schlicht und einfach fehlte, was in einer Stadt wie Hamburg
für mich nicht akzeptabel erscheint. Das sollte in Leipzig besser
laufen.
Trotzdem war die Ausstellung ihren Besuch natürlich wert, ich schaffte
es nichtmal diese abgespeckte Version komplett in der Stunde anzuschauen,
die wir uns nur Zeit ließen. Anschließend gings in den neuen
Fanladen, der sich jetzt in der Brigittenstr. befindet. Er ist doppelt
so groß wie der alte und dank Couchecken auch deutlich gemütlicher.
Der Umzug war auf jeden Fall ein Glücksgriff.
Eine knappe Stunde vor Anpfiff enterten wir dann die Gegengerade, die
bereits zu diesem Zeitpunkt brechend voll war. Was für ein Gefühl,
als die "Hells Bells" ertönen und die Mannschaften ins
tosende Millerntor einlaufen, die braunweißen bereit diesen "Klassenkampf"
gegen die übermächtigen Millionaros zu führen. Äußerst
peinlich und völlig niveaulos war es aber, daß Kahn aus der
Nordkurve mit dutzenden Bananen beworfen wurde. Damit unterscheident man
sich echt kein bisschen von irgendwelchen X-beliebigen anderen Fangruppen.
Ernsthafte Gedanken muß man sich in diesem Zusammenhang auch machen,
wenn man mal einen Blick ins Fanforum im Internet wirft. Fast nach jedem
Spiel klagen dort Fans über irgendwelche verbalen Aussetzer aus der
eigenen Szene. Sicher handelt es sich dabei noch immer nur um Einzelfälle
und ich möchte hier bestimmt nichts schlechter machen als es ist,
aber wenn rassistische, schwulenfeindliche und andere dummen Sprüche
wirklich vermehrt auftreten, sollte das schon alarmierend sein.
Aber kommen wir nun zum Spiel, das geilsten von St. Pauli
was ich bisher je gesehen habe. Die Bayern kamen mit 4 Auswärtsniederlagen
in Folge ans Millerntor, aber gegen St. Pauli sind ja schon einige Negativserien
gerissen. Aber nicht heute! Es läßt sich mit Worten eigentlich
nicht beschreiben, dieses Feuerwerk, das die Kitzkicker entfachten. Die
erste HZ wurden die Bayern dermaßen an die Wand gespielt, wie man
es selten gesehen hat. Der 2-0 Rückstand zur Pause, durch den überragenden
Meggle und Patschinski war für Effe und Co mehr als schmeichelhaft,
sie hätten bis dahin eigentlich schon 4 Buden kassieren müssen.
Eine unglaubliche Stimmung, Begeisterung und absolute Fassungslosigkeit.
Ist das wirklich war was hier gerade passiert?! Zur Halbzeit kann ich
einfach noch nicht daran glauben, daß es wirklich reicht. Hitzfeld
wird seinen Stars sicher ordentlich die Leviten lesen, sie werden noch
rechtzeitig aufwachen und St. Pauli noch überrollen. Doch es passierte
nichts dergleichen.
Natürlich machen die Bayern jetzt das Spiel, aber sie
sind weiterhin nicht in der Lage, die kompakte Abwehr von St. Pauli vor
irgendwelchenunlösbaren Problemen zu stellen, die St. Paulianer bleiben
ihrerseits durch Konter stets gefährlich. Erst in der letzten Virtelstunde
werden die Kitzkicker wirklich in einer Art und Weise um den eigenen Strafraum
eingeschnürt, wie ich es die ganze 2. HZ erwartet hätte. Der
Anschluß der Bayern zwei Minuten vor Schluß durch Sagnol fällt
dann auch nach einer Ecke aus dem Gewühl heraus und nicht herausgespielt.
Der Schiri erdreistet sich volle 4 Minuten nachspielen zu lassen und die
Bayern sollten auch noch ihre Chance zum Ausgleich erhalten. Als der ansonsten
sichere Henzler im Tor von St. Pauli einen Ball im ersten Moment nicht
festhalten kann, stockt mir der Atem, bin ich dem Herzinfarkt nahe. Aber
Elber kommt nicht zum Nachschuß und dann ist es vorbei. Geschafft.
Überall lachende Gesichter, Ekstase. Wir machen uns auf den Weg ins
Jooly Roger, wo bei ein paar Astra das eben erlebt im TV nochmal rekapituliert
wird. Besser als der Weltpokalsieg, was für ein Tag...
Mit dem FC St. Pauli feiert man solche Feste natürlich
nicht all zu oft, daß dürfte allenn klar gewesen sein. Und
so sollten wir alle auch schon drei Tage später auf den Boden der
Tatsachen zurück geholt werden. Zum Spiel auf Schalke wollten sich
leider keine Fahrer mit Untersätzen finden, ein halbes Dutzend wackere
Gestalten schreckte dies jedoch nicht ab. Fest entschlossen fand man sich
früh um Sechs am HBF ein, wohl wissend, diesen erst 27 Stunden später
wieder zu sehen. Aber was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter!
Auf zwischen 0 und 2 1/2 Stunden Schlaf trink es sich ja bekantlich besonders
gut, daß einige von uns so schon nach kurzer Zeit irgendwie neben
den Schuhen standen bzw. auf dem Boden liegend mit dem Kopf auf den meinigen
abkackten, verwundert dann auch wirklich nicht. Überhaupt ist es
uns eindrucksvoll gelungen, sämtlich Niveauuntergrenzen spielend
noch zu unterbieten. All das soll aber in den Mantel des Schweigens gehüllt
bleiben. Unsere Laune sank dann im Sturzflug hinab in den Keller, als
in irgend so`nem Nest hinter Braunschweig zum Umstieg in einen Schienenersatzverkehrbus
gebeten wurde. "Personnenschaden" nannten sie das, was uns da
zeitlich arg ins Hintertreffen geraten ließ. Anschlußzüge
wurden so natürlich verpaßt, uns war klar, daß wir uns
ein pünktliches Erscheinen im Stadion abschminken konnten. Als dann
ein weiterer Zug mit 30 Minuten Verspätung daher kam, waren wir uns
im Klaren darüber, daß sich an diesem Tage einfach alles gegen
uns verschworen hatte (naja, zumindestens diese verfluchte DB). Wir malten
uns Horrorszenarien aus, wie das Erscheinen zur 85. Minute, und erwogen
bei Gütersloh die vorzeitige Heimreise, denn der 4-stündigen
Aufenthalt in Helmstadt, der bei planmäßiger Rückfahrt
unvermeidlich war, schwebte wie ein Damoklesschwert über uns. Doch
wir blieben hart.
Um zu retten was eigentlich schon verloren war, wurden am
HBF in Essen 2 Taxis direkt zum Stadion geordert. Und plötzlich tauchte
sie vor uns auf, die Arena "Auf Schalke", wie sie sich nennt,
monströs, ein moderner Tempel. Im Laufschritt ging es rein, genau
zum Anpfiff. Der 2. HZ wohlgemerkt. St. Pauli lag aussichtsreich nur 2-0
zurück, allerbeste Vorraussetzungen also um hier noch ein berauschendes
Fußballfest zu feiern. Spaß bei Seite. Wie beschissen ich
mich füllte, nach dieser unsinnigen Hinfahrt nur noch eine HZ eines
bereits entschieden Spieles zu sehen, das geht auf keine Kuhhaut. Frust
wegsaufen ging im Stadion nicht, ich war nicht bereit den erst neu gewonnen
Euro schon wieder umzutauschen, schon gar nicht gegen diesen "Schalker
Knappen", die stadioneigene Währung, die man dort zum einkaufen
benötigt. Wer hat sich das ausgedacht, wem hat man derartig ins Gehirn
geschissen?! Überhaupt ist die Arena der absolute kommerzielle Overkill,
wenn das die Stadien der Zukunft sind, dann gute Nacht. Obwohl das verschließbare
Dach offen war hatte ich das Gefühl in einer Halle zu stehen. Optische
und akkustische Eindrücke erinnern mich auch irgendwie an eine Kinobesuch.
In "Dolby Surround" schwappte der Support der St. Pauli -Fans,
die schräg hinter mir im mit Plexiglas umsäumten Gästekäfig
standen, über mich. Die ca. 6000 St. Pauli - Fans, die hier am Start
waren (u.a. 2 Sonderzüge aus HH) standen außer direkt im Gästeblock
auch noch auf den Sitzplätzen um diesen herum und auf dem Oberrang
darüber.. Mit dieser Anzahl von Leuten hätte man auf St. Pauli-Seite
hier dermaßen eine Energie erzeugen können, daß die Arena
zweifellos dirkt durch ins Weltall abgehoben wäre, getragen ausschließlich
von heißen Kehlen.
Der S04 verspottete die wehrlosen Kiezkicker, von denen
uns an diesem Tage keine einige Torchance vergönnt war, noch mit
zweibesonders frechen Elfmetertoren. Böhme macht auf Panenke und
den Endstand von 4-0 erziehlte Oliver Reck, nicht ohne anschließend
noch vor dem Gästeblock rumzuposen. Dann war es endlich vorbei und
Helmstedt sollte bittere Realität werden. Immerhin hatten dort noch
2 Kneipen offen, wo wir noch auf einige (teilweise zahnlose) Originale
treffen sollten, die noch für den ein oder anderen Lacher gut sein
solletn. Mit ein paar Tagen Abstand kann ich diesen Horrortrip schon wieder
witzig finden. Bis zum nächsten Mal.
Manager
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