Nicht ohne meine Ehre
Also früher habe ich mir immer überlegt, was denn wirklich wichtig
ist im Leben. Mit 13 Jahren fand ich etwas von dem ich dachte, dass es
vielleicht wichtig sein könnte. Es war das Angeln. Mich faszinierte
es, meine Nahrung selbst zu fangen- ein Tier mit bloßen Händen
zu erwürgen und dann aufzuessen. Man ist eins mit der Natur, ein
respektiertes Mitglied der Nahrungskette, bis dann der Säbelzahntiger
sich von hinten anschleicht und man selbst aufgefressen wird. Nicht unbedingt
angenehm, aber wenigstens wusste man wo man hingehörte!
Heutzutage ist das alles leider irrelevant geworden, denn
Säbelzahntiger sind ausgestorben, und die Fische, die man beim Angeln
fängt, muss man gleich wieder reinwerfen, weil sie entweder zu mickrig
oder mit Schwermetallen belastet sind. Deshalb dachte ich dann auch mit
16, dass Angeln vielleicht doch nicht meine Erfüllung werden würde.
Dennoch gefiel mir die Idee der Erhabenheit, der Gedanke mit der Natur
(dem Fisch) zu kämpfen, unabhängig zu sein von unserer verdorbenen
Zivilisation. Ich beschloss irgendwo anders nach eben jener Kraft Ausschau
zu halten. Ich wollte etwas finden, bei dem ich endlich eine Ehrenhaftigkeit
in mir verspüren konnte.
Die Jungen in meiner Klasse fingen so ungefähr mit
16 an, ihre Hosen und Pullover drei Nummern zu weit zu tragen. Das lag
aber nicht daran, dass ihre Alkoholiker-Mütter vor der Einkaufsfahrt
ins Paunsdorfcenter nochmal ordentlich von der Goldkrone gekostet hatten.Nein,
meine Kumpels hatten sich diese Klamotten absichtlich selbst gekauft,
weil man so was tragen musste, wenn man HipHopper war.Ich ging mit ihnen
mit zu ihren Freestyle-contests und mellow-sessions und hoffte dort irgendwas
zufinden auf das es sich lohnen würde stolz zu sein.
Anfangs dachte ich sogar, dass ich auf etwas gestossen sein
könnte, denn als Mitglied in einer Posse fühlte ich mich schon
ziemlich stark. Man darf nen Typen verhauen, ja, man muss um die
Ehre seiner Gang zu verteidigen, einen Typen verkloppen, nur weil der
einmal deinen Posse-Kollegen schief angeguckt hat- das gibt schon ein
Gefühl der Zugehörigkeit. Auch das Wegrennen vor Bullen, wenn
die einen beim Taggen gesehen hatten, war ganz schön cool.
Aber es gab auch Sachen beim HipHop, die für meine
Begriffe ziemlich unehrenhaft waren. Da war zuallererst das Kiffen. Beissenden
Qualm inhalieren um dann kreidebleich in der Ecke zu sitzen und komische
Sachen zu erzählen -ich habe es nie verstanden. Das könnte natürlich
daran liegen, dass ich jedesmal, wenn ich es probierte, barbarischst reihern
musste. Manche meiner Kumpels haben ziemlich schnell täglich Haschisch
geraucht. Aber irgendwie ging ihre Plannung nicht auf, davon immer entspannter
und relaxter zu werden. Vielmehr wirken sie heute oft nervös, verbissen
und angespannt. -Komisch, nicht? - aber wie so was kommt weiss ich auch
nicht, ich hab ja von dem Zeug keine Ahnung.
Das Skaten war auch so eine Sache. Anlauf nehmen, sich aufs
Skateboard stellen, auf eine viel zu hohe Kante zusteuern, abspringen,
eine coole Verrenkung bringen- und dann mörderisch auf die Fresse
fliegen.- das wirkte auf mich nicht gerade wie sinnhafte, ehrenvolle Freizeitgestaltung.
Ich wusste- Hiphop würde auch nicht meine Erfüllung werden können.
Aber ich sollte sie letztendlich doch noch finden. Sie kam
in der Gestalt von Matze, der in meine Klasse versetzt wurde, weil er
sitzen geblieben war. Er zog sich immer ganz anders an als meine HipHop-Kumpels.
Er trug hohe Schnürstiefel mit Stallkappen, karierte Hemden und oft
Bomberjacken. Und vor allem hatte er seine Haare immer radikal kurz geschoren.
Matze tat immer so als wenn ihn das HipHop-Getue meiner Klassenkameraden
zu billig und kindisch wäre. Er guckte zwar ein bisschen mürrisch,
aber sein stolzierender Gang mit den weit zu Seite gewinkelten Oberarmen
imponierte mir sehr.
Ich begann mich genau so anzuziehen wie er um ihn zu beeindrucken,
aber er blieb sehr cool. Auch das ich mir bald täglich meine Spiegelglatze
rasierte, liess ihn kalt. Als ich mir dann auch noch genau dasselbe Tattoo
wie er machen liess, wollte er mir zuerst eine reinhauen, aber schliesslich
wurden wir doch noch Freunde.
Matzes ganze Kumpels waren auch Skinheads, ich traf sie
auf den Skinheadkonzerten auf die ich bald regelmässig ging. Auf
mich wirkten sie sehr sympathisch, die hatten wenigstens noch einen ordentlichen
Händedruck. Und ausserdem konnte man sich mit ihnen prima über
Skinhead-Ehre unterhalten.
Bald nahm Matze mich zu Konzerten mit und übte sanften Druck aus,
damit ich meinen Bierkonsum sehr kurzfristig um das Zehnfache steigerte.
Nach drei Monaten in meiner neuen Clique konnte ich schon elfmal hinternander
das Wort Oi! rülpsen. Walze, der jetzt eine Fleischerlehre
in Schweinfurt macht, hielt unseren gruppeninternen Rekord. Er konnte
23-mal hintereinander Oi rülpsen. Ich war damals ein
bisschen neidisch auf ihn, aber er hatte ja auch schon viel mehr geübt
als ich.
Ich begann mich im Bewusstseinszustand Skinhead rundherum
wohlzufühlen. Für Unterhaltung war gesorgt (echt geile Konzerte!),
Bierkonsum war gesellschaftliche Pflicht und ich genoss es mit Menschen
zusammen zu sein, die den selben erhabenen Anspruch auf Ehrenhaftigkeit
hatten, den ich mir auch selbst zu Gute halte.
Ein herausragendes Beispiel, was Ehre für einen Skinhead
bedeuten kann, ist noch einer von Matzes Kumpels, der Fuchs.
Einmal waren wir bei einem Eishockeyspiel als es gerade Winter und höllisch
kalt war. Der Wind pfiff eisig und der Fuchs hatte unter seiner B nur
ein lausiges T-Shirt an. Zur Halbzeit war er im Gesicht schon richtig
blau gefroren. Alle anderen von uns hatten fette Kapus dabei und wir amüsierten
uns ein bisschen über den Fuchs. Als mir einfiel, dass ich noch einen
Pullover drunter hatte, bot ich ihn ihm natürlich sofort an. Jeder
Durchschnittsmensch hätte sich ein Loch in den Arsch gefreut, aber
nicht der Skinhead namens Fuchs. Er lehente den Pullover ab,
überdauerte lieber auch noch die zweite Hälfte als Eisklotz
und holte sich eine schöne Angina Pectoris. Welch eine Grösse!
Auf seiner Ehre bestehen, selbst wenn es scheinbar total hirnrissig ist-
meinen allerhöchsten Respekt!
Der mitdenkende Leser wird sich sicherlich fragen, ob es
für das Ehrgefühl eines Menschen nicht noch andere Faktoren
gibt, als das man sich mit gutem Gewissen den Arsch abfriert oder 23-mal
das Wort Oi rülpsen kann? Ist es denn nicht auch ehrenhaft
und wichtig nicht zu lügen, nicht schlecht über jemanden hinter
seinem Rücken zu reden oder mit Ärmeren zu teilen. Gebietet
es nicht auch die Ehre etwas Abstand zu wahren und nicht mit jemandem
etwas anzufangen, wenn man gerade noch dessen besten Freund den Kopf verdreht
hat?
Meine Antwort darauf lautet ganz klar: Nein! Solches Hippie-Geplänkel
verdeckt doch nur den Blick auf den wahren Kern des Ehr-Gefühls.
Richtige Ehre ist es zum Beispiel, wenn Worf, Sohn des Mog, Lieutenant
an Bord der U.S.S Enterprise, die Schande über seiner Familie akzeptiert,
um den Frieden im klingonischen Reich zu bewahren. Richtige Ehre hatten
auch diejenigen gefangenen aufständischen Sklaven, die, als Marcus
Crassus danach fragte, wer Spartakus sei, anworteten: Wir sind alle
Spartakus.
Da zeigt sich wahre Größe.
Aber leider liegen solch grosse Ehrentaten schon lange zurück, werden
erst in geraumer Zeit passieren und sind sowieso alle nur frei erfunden.
Das ändert aber gar nichts an der Sachlage, dass derjenige wahre
Ehre hat, der die Widrigkeiten des Lebens heldenhaft erträgt, die
einem das Leben und die eigene Dummheit aufbürden. Und, dass er sich
dabei nicht mit so unwichtigen Dingen wie Feministengequatsche oder gesundem
Menschenverstand davon abbringen lässt.
Und jetzt brauch ich ja wohl nicht zu fragen, auf wen in
unserer heutigen Zeit diese Beschreibung am meisten zu trifft. Richtig,
es sind die Skinheads. (Leute, die zum Bund gehen wären auch heisse
Kandidaten). Zu begründen ist dies natürlich überaus einfach.
Es liegt zum Beispiel daran, dass es eindeutig so ist. Im Umkehrschluss
muss man natürlich dazu sagen, dass es anders auch gar nicht sein
könnte. Und sowieso ist eine Gesellschaftsschicht, die die Kassierer
hört allen, anderen moralisch und geistig haushoch überlegen,
oder?
Und jetzt höre ich besser auf, dass gebietet mir meine
Ehre.
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