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Stern Roter Stern
Der Ball ist rund (31.10.1999)
Klarofix (Leipzig), #69

Klarofix (Leipzig)#69 - November 1999

"Feuerwerk, Spielabbruch und Fan-Sprüche unter der Gürtellinie" titelte die LVZ am Morgen des 11. Oktobers auf der Regionalsportseite. Der "Anhang der Connewitzer Roten Sterne", welcher "nicht nur durch grelle Haare, sondern auch durch diverse Feuerspiele Farbe auf die Fußballplätze bringt" sorgte am 9.10. für einen Spielabbruch in der Dritten Kreisklasse, der untersten Leipziger Spielklasse überhaupt. In den nächsten Tagen sollte das Geschehen rund um das Spiel SV Ost 1858 II. Roter Stern Leipzig die Gemüter der LVZ-Lokalredaktion sowie des Leipziger Fußball-Verbands erhitzen. Manch Unbeteiligte wunderte sich: "Connewitzer", "Grelle Haare", "Spielabbruch"? All das fast unscheinbare Hinweise, die in der streng codierten Sprache linksradikalen Szene-Milieus auf die Existenz einer aus dem selbigen Umfeld sich speisenden Fußball-Szene schließen lassen. Doch nicht nur die Meldungen der heimischen Lokalpresse lässt die unbescholtene Connewitz-Autonome aufhorchen, auch andere Anzeichen im Süden Leipzig ließen in den vergangenen Wochen darauf schließen, dass irgendetwas in der Luft lag, ein neuer Stern den Himmel Connewitz' heller leuchten ließe. An den Wänden zwischen "Abschiebung ist Mord", "Nazi-Aufmarsch mit allen Mitteln verhindern" und "Antifa heißt Angriff" finden sich in letzter Zeit mehr und mehr Plakate, die der geneigten Betrachterin unbekannt vorkommen: "Stars zum Anfassen - Roter Stern Leipzig" nur so zum Beispiel. Es liegt was in der Luft genauer auf dem Rasen. Um das Geheimnis jener seltsamen Geschehnisse zu enthüllen, machte sich die Lokalredaktion des klarofix auf den Weg in den tiefsten Connewitzer Süden auf der Suche nach den Geheimnissen rund um den Fußballverein "Roter Stern Leipzig".

Dass Fußball im Allgemeinen das Lebensumfeld verschiedener junger (vorwiegend sich links nennender) Menschen seit jeher beeinflusst, ist kein Geheimnis mehr. Dass dieses Interesse durchaus in aktiver Beteiligung am Leipziger Spielgeschehen mundete schon eher. Durch die proll-deutsche, oft rassistische und faschistische Stimmung in fast allen Leipziger Vereinen herrschende Atmosphäre abgestoßen, fanden sich im Sommer des Jahres 1998 ca. 20 junge Gestalten zusammen, um dem alternative Fußballkultur entgegenzustellen. In der Dritten Kreisklasse startete in der Saison 98/99 die fünfte Männermannschaft von Blau-Weiß-Leipzig in den Leipziger Fußballalltag. Dies stellte jedoch nur einen eher unbedeutenden Zwischenschritt zu einem neueren Projekt dar, welches ein Jahr später Wirklichkeit wurde. Im Frühjahr des Jahres 1999 wurde schließlich der Verein "Roter Stern Leipzig" gegründet. Mit zwei Männermannschaften wurde in der untersten Klasse (3. Kreisklasse) des Leipziger Fußball-Sports gestartet, um in den nächsten Jahren das Ziel Stadtliga zu erreichen (3 Ligen über der derzeitigen). In den Mannschaften tummeln sich ehemalige Landesliga-, Amateur-Oberliga, Bezirksliga-Aussteiger ebenso wie notorische Berufstrinker, Punkrocker, Autonome und andere dem Leistungssport nicht gerade zusagenden Gestalten. Besonders erster Abteilung soll dafür sorgen, dass man nicht ewig in den tiefen Regionen der Kreisklasse stagniert, sondern höhere Ziele erreicht.

Ein besonderer Anspruch der Roten Sterne ist zwar diskutiert, jedoch nie explizit formuliert worden (vielen liegen die hitzigen Diskussionen um Leistungsgesellschaft noch schwer im Magen). Konstatieren lassen sich also nur Allgemeinheiten: Roter Stern Leipzig begreift sich als linker, antifaschistischer, antirassistischer Verein. Das fast allen Vereinen zu Grunde liegende Autoritätsprinzip wird (zumindest offiziell) abgelehnt, die Umsetzung jedoch erweist sich als nicht ganz einfach.

Derweil hat der Verein (nach gerade 3-monatiger Existenz) schon ca. 70 Mitglieder von denen 45 aktiv am Spielbetrieb teilnehmen (wollen). Das momentan gravierendste Problem der Roten Stern ist die Finanzlage. Verantwortliche anderer Vereine bescheinigten dem Roten Stern nicht einmal das Überleben der ersten Saison. In der Tat ergeben sich aus dem im Leipziger Fußballverband (damit auch beim DFB) organisierten Spielbetrieb ernorme finanzielle Kosten. Allgemeine Formalitäten (diverse Mitgliedsbeiträge), Platzmiete, Miete des Fanladens (s.u.), Strafen etc. erfordern enorme Summen. Die Vereinpräsidentin rechnet mit einem ungefähren finanziellen Aufkommen von 10.000 DM pro Saison. Schon jetzt drücken den Roten Stern Schulden in Höhe von 3.500 DM. Daraus wird auch ersichtlich, dass der Verein ohne die Unterstützung anderer Projekte nicht lebensfähig ist. Einige Projekte wie das B12, Könich Heinz, sowie das Conne Island greifen den Roten Sternen bereits unter die Arme, andere haben ihr Interesse bekundet. Auch die sich im Aufbau befindende Merchandise-Abteilung verfolgt in erster Linie also den Zweck, Geld in die Vereinskasse zu bekommen. Manch Merchandise-Artikel verliert mit diesem Background auch seinen absonderlichen Charakter.

Neben diesen eher internen Problemen häuft sich auch die Kritik von außerhalb. Während sich am 9.10 bei den Wende-Feierlichkeiten nur eine geringe Anzahl von GegendemonstrantInnen einfand, waren immerhin ca. 40 Fans beim Spitzenspiel des Roten Sterns in Sellerhausen dabei. Auch anderweitig haben verschiedene Personen schon moniert, dass die Spiele des Roten Sterns politische Aktivitäten am Wochenende blockieren würden. Auch wenn diese Vorwürfe im Kern durchaus ihre Berechtigung haben, wehren sich die Mitglieder des Roten Sterns gegen derartige Anschuldigungen. Zu wichtigen Terminen werden Spiele verlegt und teilweise hatte die Mannschaft auch in der Vergangenheit Probleme, ihre Spiele aufgrund fehlender Spieler zu absolvieren. Zu schnell wird übersehen, dass der Rote Stern nichts grundlegend anderes bedeutet als eine abendliche Disko. Der Verein bietet, ähnlich einer Disko, lediglich eine Plattform, innerhalb derer sich Leute unterschiedlichster Couleur treffen können. Das zu tun obliegt schließlich ganz den Wünschen der Beteiligten. Ob Menschen nicht an politischen Aktivitäten teilnehmen, weil sie sich ein Fußballspiel ansehen (was durchaus nicht neu ist, da auch Spiele von Chemie Leipzig immer wieder für eine ähnliche Situation sorgen) oder weil sie nach einer Disko ausschlafen müssen , nimmt sich im Grunde nichts. Vielmehr bietet der Rote Stern die Möglichkeit, sich zu treffen, Leute kennenzulernen und sich eben ein bisschen zu amüsieren. Er ist demnach das klassische Beispiel alternativer Subkultur. Gerade in Zeiten, wo über hegemoniale Kultur nachgedacht werden muss und auch wird, zeigt der Rote Stern Möglichkeiten gegenkultureller Aktivitäten auf. Fußball war zwar in der Vergangenheit integraler Bestandteil eines beträchtlichen Teils der "Szene", konnte jedoch nur in der etwas eingeschränkten Atmosphäre Chemie Leipzigs Ausdruck finden.

Andererseits ist es jedoch der Fall, dass der Rote Stern auch politisch zurückwirkt. Menschen, die jahrelang außerhalb jeglicher Szene-Strukturen standen, haben über diesen Verein teilweise schon einen anderen Bezug herstellen können. Viele, besonders jüngere Menschen, haben es schwer, diesen Bezug herzustellen. Besonders die geplante A-Jugend des Roten Sterns könnte dort wertvolle Brücken schlagen. Dabei soll hier aber nicht der Wirkung des Vereins überschätzt, sondern nur Möglichkeiten angedeutet werden. Wie man in Zukunft politische Transparenz und Wirklichkeit erreicht, darüber soll jedoch eher intern diskutiert werden. Eine erste offensichtliche Möglichkeit bietet jedoch bereits der BAFF-Kongress ("Bündnis aktiver Fußball-Fans": Ein Zusammenschluss antifaschistischer Fußballfans in Deutschland) im Frühjahr 2000, der zum ersten Mal in Leipzig stattfinden soll und vom Roten Stern organisiert wird.

Ansonsten freut man sich beim Roten Stern über das rege Interesse im Leipziger Süden. Zu jedem der Heimspiele (beide Mannschaften spielen nacheinander) kamen bisher über 150 Zuschauer mit steigender Tendenz. Das letzte besuchten sogar 230, Zuschauerrekord in der Dritten Kreisklasse. Besonders die Heimspiele haben es in sich. Es gibt Musik (live oder vom Band), Grill und viele nette Leute. Auch die Verantwortlichen des Leipziger Fußballverbandes sind überrascht bis begeistert. Eine solche Stimmung wie im Dölitzer Sportpark (der Heimspielstätte des Roten Sterns - Bornaische Straße, eine Haltestelle nach dem Stern) gab es in der Dritten Kreisklasse noch nie. Die Zuschauerzahlen übersteigen sogar den Schnitt der Bezirksliga (Fünf Ligen höher).

Den ersten Eklat haben die Roten Sterne jedoch bereits hinter sich. Wie weiter oben schon erwähnt, kam es am 9.10 beim Spitzenspiel der Dritten Kreisklasse zwischen SV Ost 1858 und Roter Stern in der 85. Minute beim Stande von 3:0 für die Roten Sterne zum Spielabbruch. Der Ersatzschiri (der richtige war nicht angereist), welcher sich als Trainer von SV Ost herausstellte, verpfiff den Roten Stern auf der ganzen Linie und brach, nachdem ein Pyro in die Luft flog, das Spiel ab. In der darauffolgenden Woche machte die LVZ daraus einen Skandal und wollte die Anhänger des Roten Sterns als Chaoten brandmarken. Nur die Intervention der Verantwortlichen des Leipziger Fußballverbandes, welche sich schon öfters selbst ein Bild der Lage bei Heimspielen gemacht haben, zerstörten schließlich dieses Unterfangen. Tatsächlich ist es so, dass Leuchtkörper gezündet, Blitzknaller geworfen werden und dichte Rauchschwaden durch den Sportpark Dölitz ziehen. Dass eine solche Stimmung, die nicht nach den verordneten Kriterien abläuft, von vielen, besonders der ordnungsliebenden LVZ, abgelehnt wird, ist bekannt. Doch wie so oft, sorgte auch der Vorfall eher als Werbung denn als Abschreckung. Die Anhängerschar war von der tendenziellen Berichterstattung der LVZ jedenfalls begeistert. Besonders die Aussage, dass "Parallelen zur abgebrochenen und später mit 0:2 gewerteten Regionalliga-Partie VfB Leipzig gegen Dynamo Dresden" vorhanden wären, sorgte für Euphorie bis Belustigung. Am 27.10. kam es zur Verhandlung vor dem Sportgericht, das Urteil war bei Redaktionsschluss jedoch noch nicht bekannt.

Sorgen bereitet dem Roten Stern jetzt, neben den finanziellen Belastungen, eventuelle Attacken von Nazi-Horden. Besonders bei Spielen gegen Holzhausen haben sich nun schon zum zweiten Mal Faschisten angesagt, die dann doch nicht erschienen. Bei einer ausgefallenen Partie (in der letzten Saison) warteten jedoch nach Augenzeugenberichten über 100 Nazis auf die Kicker von Roter Stern (damals Blau-Weiß V.) Auch in Zukunft ist diese Situation nicht einfach zu vernachlässigen, obwohl fast allen Mannschaften bescheinigt werden muss, kaum faschistische Spieler und auch keine derartigen Fans zu besitzen.

Um nicht im Alltag eines beliebig austauschbaren Vereins zu versacken, bemühen sich die Roten Sterne, die Möglichkeiten, welche die offizielle Vereinsstruktur bietet, bestmöglich auszunutzen. Von besonderem Interesse ist dabei der Aufbau eines Frauenteams. Anfängliche Bemühungen in dieser Richtung wurden relativ zeitig von Frauen gebremst, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die Männerhorde sucht lediglich aus Image-Gründen nach einem Alibi-Frauen-Team, um sich der nötigen Diskussion um die Rückwirkungen und damit Reproduktion männerdominierter Fußball-Kultur zu entziehen. Mittlerweile gibt es jedoch ca. 20 Frauen, die von sich aus Interesse bekundet haben, ein Frauen-Team zu gründen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird also der Rote Stern die nächste Saison durch ein Frauen-Team bereichert. Auch wenn das praktisch bisher nicht der Fall ist, sollen Frauen (immer innerhalb des Möglichen) nicht vom aktiven Spiel ausgeschlossen werden. Das Mittwoch und Freitag stattfindende Training steht also durchaus auch Frauen zur Verfügung.

Dass Fußball durchaus nicht die einzige Sportart ist, die von linken Sportfanatikern praktiziert wird, zeigt auch das rege Interesse aus einer anderen Richtung. So gibt es bereits Bemühungen, neben der Fußball-Abteilung eine Volleyball-Abteilung anzugliedern. Wie die Form dieses Teams dann schließlich aussehen wird, ist noch nicht klar. Einzig klar ist nur, dass die Vereinsstruktur des Roten Stern allen offen steht, die ähnlich Projekte verwirklichen wollen, nur den Rahmen derzeit noch nicht gefunden haben.

Auch weiterhin wird der Rote Stern jedenfalls für Furore sorgen. Plakate sowie Handzettel informieren jeweils über die aktuellen (Heim-Spiele), am Montag sind die Ergebnisse und der aktuelle Tabellenstand der LVZ bzw. BILD zu entnehmen (LVZ: Wo steht mein Verein, Fußball, Herren, 3. Kreisklasse, 2. und 3. Staffel) Wer mehr über den Verein wissen will, der sei das monatlich erscheinende RSL-Fanzine "Prasses Erben" empfohlen, welches es bei allen Heimspielen zu erwerben gibt. Ab sofort hat am Dienstag und Donnerstag der Fanladen im Conne Island geöffnet.

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