Teams
Chronik
Dates
Fans
Stern Roter Stern
SV Tapfer II vs. RSL Zweite Herren  2:2
25.4.2018 Torgauer Straße 106, 04318 Leipzig

Spiel Zwei in der Woche der Wahrheit hielt eine Auswärtsfahrt zu den Tapferen aus der Torgauer Straße bereit. Und auch wenn es die Hinweise nach der bisher einzigen Saisonniederlage im Hinspiel nicht gebraucht hätte, übte sich Senior Henne bereits Tage, gar Wochen, vor dem Spiel in einer Sammer’scher Mahnerrolle. Es sollte – so viel vorweg – Vergebens bleiben.
Der Einklang zum Spiel war einer englischen Woche würdig. Während die pünktlich am Treffpunkt Fischladen eingetrudelten Sterne betäubt in einer Duftwolke von Leistes Eau de Lazy mit Duftrichtung „Parisienne-Krosti“ ausharrten, begann es draußen erst zu tröpfeln und mit Abfahrt kräftig zu regnen. Nach Helmis Höllenritt traf der Sterne-Bus unglaublicherweise unbeschadet bei Tapfer ein. Und obwohl sich die Mitfahrer wacker gehalten hatten, waren fast alle Insassen nervlich bereits vor dem Gang in die Katakomben am Ende. Als wäre diese mentale Erschütterung nicht schwerwiegend genug, offenbarte sich in der Umkleidekabine, dass die Tapferen die Klaviatur psychologischer Kriegsführung scheinbar blind zu spielen in der Lage sind. In einer Rohbaustelle, deren einziges Interieur eine massive, im Raum liegende Tür darstellte, sollten sich die an Ermüdungsbecken, Sauna und Privatspind gewöhnten (Red) Stars in ihre Spielbekleidung zwängen. Als besonderer Kniff der Wackeren stellte sich heraus, dass sie uns eine Kabine ohne Licht zugewiesen hatten. Noch später stellte sich heraus, dass wir nur zu dumm waren, um die Lampe anzuschalten. Wie dem auch sei: Der Treffer saß und die kärgliche Atmosphäre des Sozialtrakts färbte unmittelbar auf die Connewitzer Wohlfühlfußballer ab.
Während das Aufwärmen noch ohne große Zwischenfälle verlief und sich neben einem totkranken Lion und dem Noch-Invaliden Magnus sogar ein unglaublicher Auswärtsmob von 8-10 Fans im Osten Leipzigs straffte und stellte, war bereits die erste Hälfte hart umkämpft. Nach einer kurzen Abtastphase kam es zu ersten Chancen auf beiden Seiten. Nach einem haarsträubenden Ballverlust des zwar tapferen aber fußballerisch nicht gesegneten Außenverteidigers, lief Matze die rechte Linie längs, vergab dann allerdings mit einem desaströsen Telefonpass in die Mitte die Chance auf ein sicheres Tor von Simon (oder Moritz?). Auf der linken Seite wusste der Professor sein wehendes Haupthaar ein ums andere Mal richtig in den Wind zu stellen und (ver)peilte die Lücken in der gegnerischen Abwehr in traumwandlerischer Sicherheit an. Doch Zählbares sprang nicht dabei heraus. Stand die Defensive in den ersten 20 Minuten noch recht solide, gab es in der Folge doch die eine oder andere brenzlige Aktion im Spielaufbau. Mehrmals fanden sich die Leidtragenden „Käpt’n Köhn“ und „Model Mo“, umringt von drei oder mehr Gegnern, am Mittelkreis auf sich alleine gestellt wieder. Und so, oder so ähnlich, kam es dann auch zu den ersten großen Chancen der Wackeren. Die größte davon konnte E(hhh)lz von der Linie kratzen und für den geschlagenen LK-Max retten, der an diesem Tag dankenswerterweise das Tor hütete.
Irgendwann rund um die 30te Minute gelang den Sternen in dieser letztendlich doch recht ausgeglichenen ersten Halbzeit sogar die Führung. Mit einem Freistoß, der an die einstigen Geschosse von Soumaila Coulibaly im Dreisam-Stadion erinnerte, ließ Matze die Mauer der Hausherren zerbersten. Angeblich soll der Hüter auch nicht ganz unbeteiligt gewesen sein. Der Autor hält dies jedoch für ein Gerücht. Leiste war’s auf alle Fälle egal. Er sprang aus dem modernden Trainerhäuschen auf, das wenig mit dem gemütlichen Strandkorb gemein hatte, aus dem einst der ähnlich lang amtierende Volker Finke die Lichtgeschwindigkeitsfreistöße Coulibalys hatte bejubeln dürfen. Nach dem Torjubel wurde Macher Schmiedel dann von Headcoach Muckel zum Wasserträger degradiert. Aufgrund exzessiver Pfandpiraterie in den vergangenen Spielzeiten verteilten die Tapferen nämlich keine Wasserflaschen mehr an Gästeteams. Stattdessen sorgt ein futuristischer, mit digitaler Anzeige ausgestatteter Kaffeevollautomat (der gleichzeitig auch als Wasserspender diente) für einen ästhetischen Stilbruch im ansonsten eher am Shaker-Design orientierten, minimalistischen Einrichtungsstil der Trutzburg der Wackeren. Den Schweiß in die neue Tottenham-Cap treibend, zapfte Leiste bis zur Halbzeit jedem seiner Spieler einen eigenen 0,1-Liter-Becher des edlen Wassers, das vermutlich aus der nahe gelegenen „Östlichen Rietzschke“ stammte (dazu und zu anderen geographischen oder architektonischen Besonderheiten in der Umgebung kann Sportfreund Weise sicher detailliertere Informationen nachliefern).
Nach einer knappen Taktikexkursion von Arrigo Muckel hieß die Parole für die zweiten 45 Minuten: Hinten dicht! 15 Meter tiefer stehen! Gegner kommen lassen und das Ganze souverän verteidigen! Was auch immer man von diesem taktischen Kniff halten mag, er half nicht. Denn was in der zweiten Halbzeit folgte, war wohl mit das schlechteste, was die Zweite in dieser Saison auf den Platz gezaubert hat (Störmthal läuft traditionell außer Konkurrenz). Keinerlei Zugriff im Mittelfeld, ein teilweise erschreckendes Anlaufverhalten und, trotz einer tieferstehenden Abwehr, etliche lange Bälle oder Diagos, die von den Wackeren erlaufen werden konnten. Dass es nicht bereits um die 60te Minute 3:1 oder 4:1 für die Wechselvogel-Truppe aus dem Mariannenpark stand, hatte nur zwei Gründe: Deren Unvermögen vorm Tor und die großartigen Auftritte von Big Benjamin aka El Keglo. Dieser entledigte sich im Laufe der zweiten Halbzeit sämtlicher vorangegangen Spitznamen und performte oscarreif in seiner neuen Doppelrolle als „El Lienio“ (auf der Torlinie einspringender Punktretter) und „El Niño“ (Wirbelwind mit einem nach Würgereflex klingenden Donnerhall auf der rechten Abwehrseite). Bei einem bereits sicher geglaubten Tor der Tapferen klappte El Würgo den Kopf nach hinten, schob die Brust raus, hob die Füße einen Millimeter über die Grasnarbe und mähte in Richtung eigene Torlinie. Und so zerschellten die Ausgleichsträume des tapfer anrennenden Heimteams am klärenden Hart-Härter-Härtig. Ebenfalls hart ging Yasin nach seiner Einwechselung zur Sache. Da er vor Spielbeginn noch den einarmigen Banditen am Rasthof Elbaue leeren musste, dann seine Schienbeinschoner für Fußballschuhe hielt und diese schlussendlich in den endlosen Weiten seines Q3-Panzers verlor, trudelte die U23-Hoffnung gefühlt erst in der 55ten Minute am Sportplatz ein. Ähnlich spät kam er dann bei einer formvollendeten Frustgrätsche, die dem Autor als einer der wenigen Momente im Kopf geblieben ist, in denen es auf dem Feld hitzig wurde (für alldiejenigen, die dieser Umstand überrascht: Henne „Ich mach doch gar nichts!“ Meißner war an diesem Tag verhindert). Vom Verlauf der regulären Spielzeit in Halbzeit Zwei bleibt ansonsten wenig Berichtenswertes. Wir bettelten fleißig weiter um einen Gegentreffer, um uns die Dosis Extra-Motivation für das anstehende Schleußig-Spiel zu holen. Und dann, in der 89ten Minute, war es endlich so weit. In meiner Erinnerung dribbelte irgendein Ballkünstler der Tapferen durchs Mittelfeld und kam an diversen lethargischen Sterne-Körpern (eventuell eine Ermüdungs-Folge von sinnbefreiten Kartenhäusern auf der Suche nach ominösen „Körnern“) vorbei in den 16er. Wie genau es sich weiter zutrug, kann ich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall war der Ball am Ende im Tor und selbst der Pädagoge von der Pistorisstraße konnte dieses Mal nichts machen. Allgemein sanken Köpfe und Körper danieder. Aber bei aller Enttäuschung hielten diesen Treffer wohl alle Anwesenden für hoch verdient. Anstatt dem Elend mit circa 96,3% Fehlpässen auf Stern-Seite aber ein Ende zu bereiten, steckte der Schiedsrichter mit vier Minuten Nachspielzeit lieber den Rahmen für eine Schlussphase ab, die eines eigenen Fupa-Artikels würdig wäre. Die sich anbahnende Mannschaftspredigt („Ihr seid zu schwach!“) von Papa Meißner um alles in der Welt abwenden wollend, erkämpften sich die Sterne in Minute 92 zwei aufeinanderfolgende Eckbälle. Beim zweiten Versuch entspann sich ein Menschenknäuel und ein von hinten heranfliegender Sperber ließ die Beute nicht durch die Wachshaut seines Schnabels rutschen. Mit einem satten Schuss aus acht Metern brachte der Accipiter Nisus seine Schar auf die Siegerstraße. Scheinbar. Denn die tapferen Wackerianer hatten ebenfalls einige Künstler der Lüfte in ihren Reihen. Der im Chor vorgetragene, arttypische „Bettelruf Kiäh-Kiäh“ der Sperberelf, der laut ornithologischem Handbuch dem eines jungen Habichts nicht unähnlich ist, ließ den Schiedsrichter kalt und seine Pfeife stumm zurück. Und nach einem unnötigen Foul an der Mittellinie erhielten die Mannen, die einst unter dem klangvollen Namen BSG Motor Mihoma (nicht zu verwechseln mit der ab 1971 nachfolgenden BSG Motor Mikrosa) um Punkte rangen, einen letzten Freistoß. Dieser segelte in das Brutgebiet der jungen Sperberelf und „Michael“, der größte und kräftigste seiner „Zunft“, stand eines Seeadlers gleich, majestätisch in der Luft und pickte das Leder mit seinem Schnabel kunstvoll in den linken Giebel.
In der Folge glich die Szenerie derer aus Minuten 89. Wieder knallten die Sterne, vom Königssperber eben noch in ungekannte emotionale Höhen entführt, auf den harten Boden der Kreisklassenrealität. Mit dem Schlussruf des gelbgefiederten Referees stand das 2:2 als Endergebnis fest. Noch Minuten später lagen Menschen verstreut, mit gepeinigten Gesichtern und ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Rasen. Andere zogen benommen von dannen. Ein ähnliches Bild muss sich den Schlachtenmalern 1813 dargeboten haben. Doch ein Notfallseelsorger war bereits aus dem Erzgebirge hinabgestiegen und stellte einige Tropfen leidlindernden Hopfens in Aussicht. Und so kehrten die Sterne – mit einigen Minuten Abstand durchaus zufrieden mit dem einen Punkt – in unterschiedliche Connewitzer Kneipen ein. Dort starrten sie, jede Passstafette mit mehr als zwei Stationen ungläubig bestaunend, auf die Übertragungen aus der Champions Leauge. Es sollte seine Wirkung nicht verfehlen. Am darauffolgenden Samstag jagte eine gierige Sperberschar über das Dölitzer Grün und zeigte einigen Grünschnäbeln von der Nonnenwiese wie man den Vogel abschießt.


www.roter-stern-leipzig.de / Datenschutz/Impressum/Kontakt