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Wo kommen die denn alle her, die Nazis?


Über das Entstehen einer neuen Jugendkultur im Schatten sommerlicher Langeweile


...Es ist nachts. Es ist lauwarm. Es ist in Leipzig - genauer gesagt Grünau, Leipzig-Grünau. Der Ausflug in die Idylle des grünen Leipziger Stadtteils war als Sightseeing-Tour und Erholungstrip geplant. Es ist immer wieder schön in Grünau, ein Ausflug lohnt sich jederzeit. Auch heute, so scheint es, doch aus dem Trip in die Gemütlichkeit der Parks und breiten Promenaden entwickelt sich ein Horrorszenario unvorstellbarer Intensität. Im Schatten einer Straßenlaterne stehen sie. Sie, von denen man dachte, dass sie die Erkenntnisse der Geschichte für immer und ewig hinweggespült hatte. Sie, die über 50 Jahre nach ihrer Niederlage aus den dunkelsten Winkeln der Geschichte wieder auftauchten. Sie, die ein Land, eine Nation und ein Volk in ungeahnte Hilflosigkeit stürzten. Sie: Die Nazis. Dort stehen sie, wie dem Geschichtsbuch entstiegen. 50 Jahre gab es sie nicht, wie Phönix aus der Asche standen sie da. Ich, ich muss es gestehen, war traumatisiert und hilflos....

Hassi-Träger für gute Musik und gegen NAZIS!Nach dem Anschlag von Düsseldorf, wovon heute keine Rede mehr ist, erwachte die „Berliner Republik“. Innerhalb kürzester Zeit beherrschte die deutsche Öffentlichkeit nur noch ein Thema: Rechtsradikalismus. Kampagnen, Unterschriftenaktionen, Sondersendungen - alle versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen. Der Grundtenor der Anfangstage war von der Hilflosigkeit bestimmt. Ein paar Gazetten waren erst einmal damit beschäftigt, versäumte Diskussionen und aktuelles Vokabular einzutrainieren. Die Begriffe der „national befreiten Zonen“, der „kulturellen Hegemonie“, der „no go areas“, des „rechten Konsens“ etc. wurden nun plötzlich entdeckt und in die eigene Sprache übernommen. Verschiedene Zeitungen erbrachten den Beweis, dass just jetzt im Augenblicke, Sozialarbeit mit Rechtsradikalen gescheitert sei. Zeitungen ohne „Sonderbeilage, Heute: Die Nazis“ brauchte sich auf dem bundesdeutschen Markt gar nicht blicken zu lassen. Die FR ließ sich nicht lumpen und veröffentlichte über Wochen eine extra Seite „Rechtsextremismus“ und auch die BILD (irrtümlich häufig als „Zeitung“ bezeichnet) entdeckte die Recherche und gab ihrer begeisterten Leserschaft einen Einblick in die Alltäglichkeit rechtsradikalen Terrors: rechtsradikale Jugendliche, die durch die Straßen einen Kleinstadt ziehen und „Sieg Heil“ brüllen, unbekannte Täter, welche die Dunkelheit der Nacht auf hinterhältigste Weise ausnutzend Hakenkreuze an Wände sprühten usw. Keine einzige extremistische Gewalttat, welche die BILD undokumentiert ließ.

Vielerorts bemerkte man das Ensetzten der AutorInnen, woher jetzt plötzlich all die Nazis kämen und warum diese so furchtbar brutal sind. Und Renate Künast forderte gegenüber der Frankfurter Rundschau die Innenminister der Länder auf, jetzt etwas gegen Nazis zu tun, und nicht erst, wie bei den Kampfhunden, wenn etwas passiert. Auch Künast war also sichtlich betroffen und wußte, wenn es die Nazis noch länger gibt, dann gibt es auch Gewalt. Schnell ging man dazu über, die Auswirkungen des Rechtsradikalismus zu erörtern. Neben der Diskussion über den Standort Deutschland wurde ebenso der deutsche Wirtschaftsstandort sowie der Wirtschaftsstandort Deutschland in großer Gefahr gesehen. So, die einhellige Meinung, was sollen die Wirtschaftsbosse denn machen, wenn sie keine Ausländer importieren können, weil diese von Nazis erschlagen werden. Das ist Scheiße für die Wirtschaft, das ist Scheiße für unser Ansehen, das ist Scheiße für all die geleistete Arbeit und außerdem macht man das nicht, Ausländer totschlagen. Also mussten Gegenkonzepte ran. Jugendarbeit wurde zwar nicht als Leitthema aber immerhin als solide Randbemerkung behandelt, in doppelter Hinsicht. Auf der einen Seite soll endlich mit den Jugendlichen gearbeitet werden und auf der anderen sollen die Jugendlichen endlich wieder arbeiten können. Damit aber der Ursachenforschung genug Platz gewidmet. Die wirkliche Lösung des Problems sollten mehr Verbote, mehr Überwachung, mehr Polizei sein. Wer dabei sein wollte im bunten Haufen von AntifaschistInnen, musste schon mindestens ein NPD-Verbot fordern. Drunter ging es nicht, ohne gleich als Nazi geoutet zu werden. Wer was auf sich hielt war dabei. So auch Stoiber, der just an seiner deutschen Ehre gekratzt wurde. Ausländer hinterrücks angreifen ohne Kriegserklärung, davon hält Stoiber nicht viel. Entweder man greift die Ausländer im Ausland an, oder man schiebt sie ab oder man lässt sie leben. Dass die NPD keine unwesentliche Konkurrenz zur CSU ist, das weiß auch Stoiber, sie loszuwerden kann für Stoiber nur positiv sein. Im Chor der AntifaschistInnen sangen ganz absonderliche Gestalten mit. Auch DVU und Republikaner waren entsetzt von der Welle der Gewalt. Die DVU forderte über ihre Parteipresse „National Zeitung“ und „Deutsche Wochen Zeitung“ die Todesstrafe für die Attentäter von Düsseldorf. Republikaner-Chef Rolf Schlierer hingegen forderte ebenso das Verbot der NPD.

Faschobirnen in den Garten kacken.So zog sich die Diskussion immer weiter hin. Derweil wurden Konten gesperrt, Organisationen verboten, Internet-Seiten geschlossen, oder auch mal eine Shell-Tankstelle dichtgemacht (Delitzsch). Grade die Tankstellen-Geschichte von Delitzsch ist zwar nur ein kleines aber ein symbolisch wertvolles Zeichen im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Die Konsequenz der ganzen Diskussion ist jedoch ein gravierender. Nach einer LVZ-Umfrage von Mitte September wollten sich gerade mal noch 5 Prozent der Ostdeutschen als rechts bezeichnen. Und auch nur noch 24 Prozent der Ossis hat noch etwas gegen Ausländer, die in die deutsche Wirtschaft investieren und 73 Prozent gegen Ausländer, die sich hier ein schöneres Leben machen. Gewalt finden sowieso alle ganz schlimm. Zivilcourage ist das Zauberwort des Sommers und mit geeinten Kräften ist das Thema bereits wieder so gut wie vergessen. Die Gewalttaten der Nazis scheinen schon wieder weniger zu werden. Durch Zivilcourage und Polizei gelingt es, die Nazis unter Kontrolle zu halten. In Leipzig-Grünau schaffen es Nazis nicht einmal mehr, das AsylbewerberInnenheim anzuzünden, weil bereits kurz vorher (und nicht erst nach dem Anschlag) die gefüllten Molotow-Cocktails vor dem Heim gefunden wurden. Das lässt hoffen, darauf, dass die Nazis so schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht waren und darauf, dass wir uns wieder dem wichtigen Thema Arbeitslosigkeit zuwenden können.

Helmut

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