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Gedanken zur „Spaßproletenkultur“


- Fußballer in der Pauschalisierungsfalle -


Es kotzt mich einfach an, wenn sich Menschen vor mir aufbauen, die ich entweder kaum kenne oder kennen möchte und dann folgende Wortgruppe auf mich „erbrechen“: „Du Proll!!!“ Ich möchte mit diesem Artikel versuchen meine Gedanken zum Thema „Spaßproletenkultur“ so plausibel wie möglich zu erläutern.

Als das grobe Konzept von diesem Artikel meinem Mitbewohner vorlegt wurde, erntete ich gleich das Lob: „Klingt ganz schön nach verletzter Eitelkeit!“ Es ist überhaupt nicht mein Anliegen, die verehrte Leserschaft mit Halbproblemen zu belästigen. Ich halte diesen Eitelkeitsvorwurf sowieso für ein Totschlagargument, da jegliche Reaktion einem „getroffene Hunde bellen“ – Statement gleich käme. Ich versuche nur mich so sachlich wie nötig an mein Problem, welches ich für publikationswürdig halte, heranzuwagen. Übrigens erfuhr ich in diversen Einzelgesprächen, dass viele Freunde im RSL-„Spaßproleten“-Freundeskreis die „gleichen“ Gedanken zu dieser Problematik hegen.

Da in diesem Artikel nicht fünfhundert mal Proll stehen soll, möchte ich ein paar Begriffe gleich am Anfang – für das bessere Verständnis – definieren. Menschen die jeden Tag kopflos zur Schicht rennen, sind für mich Prolls. Dagegen sind viele Fußballer vom Roten Stern, die als Freizeitbeschäftigung die gesellige Alkoholvernichtung plus Prollen für sich entdeckt haben, Spaßproleten.

Erst kürzlich schilderte eine junge Frau mir die Assoziation, die sie bei dem Begriff Fußball zieht: Prollsport. Wer Fußball nicht steril am heimischen TV-Gerät erlebt, sondern sich auf deutschen Fußballplätzen umschaut, wird dagegen kaum etwas sagen können. Da denke ich haben wir schon die Wurzel ausgegraben. Unser Roter-Stern-Freundeskreis, Ursprünge liegen im „Melk die fette Katze“-Umfeld, hat als konstituierendes Element den Fußball, mit all seinen positiven wie auch negativen Kern- und Begleiterscheinungen, gepachtet. Die Liebe zu dieser Ballsportart garniert mit einer gehörigen Punkrockattitüde - die Oi-Schiene nicht zu vergessen -, hat bei „uns“ Spaßproleten einen bizarren Humor entwickelt, dessen Ursache und Notwendigkeit später noch beschrieben werden soll.

Wenn ich in, die in der Einleitung erwähnte, „Du Proll“-Situation gerate, frage ich mich oft, was in diesem mir gegenüber getragenen Kopf vorgeht. Für mich sind waschechte Proleten Typen, die am frühen Morgen gegen 7 Uhr auf Maloche stehen, sich jeden Tag die Titten von Seite eins in der Bild-Zeitung reinziehen und nach der Arbeit mal schnell über die Alte fleddern. Ich glaube die können gar nicht anders, als deftig rumzuprollen und einem tristen Alltagstrott hinterher zu hecheln, auf der Suche nach dem vermeintlichen Glück, in Form von Autos, Einfamilienhäusern, Frau, Kind und dem obligaten deutschen Schäferhund. Die Edelikonen dieser Zunft gehen dann auch noch zum Fußball, z.B. zu Chemie Leipzig, wie auch Teile unseres Freundeskreises. Ich glaube nicht, dass „wir“ mit solchen Leuten verwechselt werden können. Okay, wir artikulieren uns zeitweise wie diese Zeitgenossen, trinken die gleiche Biersorte und sympathisieren mit demselben Verein, dies ist doch aber schon alles. Trotz alledem: „Du Proll!“ Gerade das Proll-Stigma des Fußballsportes lastet schwer auf unseren Schultern.

Für mich persönlich ist es klar, bei derartig vielen Missständen auf dieser Erde, kann der noch denkende Mensch gar nicht soviel essen, wie er kotzen möchte. Jeder muss Möglichkeiten finden, wie er diese Diskrepanz zwischen persönlichen Anspruch und realer Umwelt verarbeitet. Die Politik, hier die linke, ist natürlich für uns politische Zecken ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Doch die permanenten Rückschläge und die trostlos erscheinende Zukunft führen dazu, dass viele politisch-aktive Personen meines Erachtens nach mit der Zeit nur depressiv werden. Auch einige Spaßproleten sind politisch aktiv, jedoch ist die Freizeitgestaltung oft recht unorthodox: Punkrock, Saufen, Fußball, Prollen. Sie trinken ihr Bier und amüsieren sich über die Gesellschaft, was manchmal auch einer Art Verarbeitung von aktuellen Problemen gleichkommt. Der Punkt ist der, dass das völlig in Ordnung ist, solange sie noch etwas auf die Reihe bekommen und nicht in der Abteilung „Saufen und Kiffen gegen rechts“ verschwinden. Über diese Fraktion möchte ich keine weiteren Worte an dieser Stelle verlieren. Außerdem ist diese ganze Prollerei nur eine große, bewusste Schauspielerei. Warum kann nicht das ganz normale Leben als Theaterbühne dienen?

Jetzt zu einem Kernanliegen: Wenn ein sogenannter Spaßproll zu mir kommt und mich als selbigen bezeichnet, dann finde ich das okay, weil es lediglich Geprolle ist und ich weiß, dahinter steckt keine Böswilligkeit, sondern ein Scherz. Falls aber eine Person, bei der ich nicht genau erkennen kann, wie denn das jetzt gemeint ist, mich derart tituliert, wirkt das beleidigend aus folgenden Gründen. Meist habe ich dieser Person gar nichts getan, geschweige denn mit ihr jemals gesprochen. Sie sah mich vielleicht ein- oder zweimal in einer biertrinkenden Gruppe: Ich bin ab diesem Zeitpunkt scheinbar kein autonomes Individuum sondern schlichtweg ein: „Proll“. Zweitens mag ich diese soziale Abstufung nicht. Diese Person agiert, durch ihre Beleidigung, von einer gehobenen Position heraus. Oftmals ist jenem Menschen der beleidigende Charakter seiner Aussage gar nicht bewusst. Mein Gefühl sagt jedoch in diesen Momenten: Du kannst ja prima nach oben buckeln und nach unten treten. Ein weiteres Problem stellt dieses Schubladendenken dar: Die Fußballer, bzw. Prolls, bzw. Fußballprolls oder Typen vom Roten Stern sind keine Menschen sondern nur eine homogene Gruppe. Es ist klar, dass „wir“ auf die Außenwelt zeitweise sehr though wirken müssen. Biertrinkende Typen, die alles und jeden zulabern. Finde ich persönlich manchmal auch äußerst schlecht. Das Zusammenleben nicht nur zwischen den Spaßproleten, sondern auch zwischen Spaßproll und „Außenstehenden“, wird durch das ironische Antworten selbst auf äußert ernstgemeinte Fragen, belastet. Während der Spaßproll sich amüsiert, fühlt sich die andere Person nicht ernst genommen und bestätigt: Mit denen kann mensch sich ja sowieso nicht unterhalten. Persönliche Gespräche zwischen den sog. „Prolls“ - gerade in größeren Diskussionsrunden – sind kaum möglich, was eine relative Distanz unter den einzelnen Personen des Freundeskreises zur Folge hat. Aber im Einzelgespräch wird jede Person, die sich die „Mühe“ macht, mit einem Spaßproll zu kommunizieren, schnell mitbekommen, dass so gut wie alle Fußballer vom Roten Stern – Achtung Pathos!!! – herzensgute Menschen sind.

Gerade im letzten Sommercamp waren einige brisante Situationen zwischen Spaßproleten und den Menschen, gemeint sind hier speziell jene aus Connewitzer-Zusammenhängen, zu beobachten. Durch den prollischen Gestus schreckt der gemeine Spaßprolet verständlicherweise Menschen ab. Im Gegenzug jedoch werden „wir“ durch die „Du Proll“-Keule nur in ein billiges Klischee gepresst. Dann setzt die „Leck mich am Arsch“-Stimmung ein, nur die Kumpels verstehen einen, man verschärft seinen Witz gegenüber den ausgemachten Peinigern und die Bezugsgruppe wird noch wichtiger. Nochmals bemerkt sind selbst die Fußballer nicht eine homogene Gruppe, sondern eine Ansammlung von Individuen!

,Die Fußballer sind nur die Fußballer, welche wieder mal den Sexisten oder Proll rausgehangen haben.' Gerade von sich links nennenden Menschen würde ich etwas mehr Weitblick verlangen und nicht das klassische Schubladendenken. Wobei ich nie behaupten würde, dass ich vor dieser Denkweise gefeit bin, verlange ich in dieser Hinsicht doch mehr Selbstreflexion. Wer pauschalisiert ist nicht gerade sehr progressiv, bzw. links!

Prollen ist gut, Prollen ist wichtig! Im Gegenzug sage ich aber, dass Prolet sein, viel zu wenig ist. Jeder der sich bewusst mit seiner Umwelt auseinandersetzt, kann kein Proll sein! Also lasst uns einfach machen, lasst Euch aber nicht anmachen von prolligen Sprüchen! Wer trotzdem noch das Bedürfnis hat, sich aufzuspielen und zu profilieren durch den ominösen verbalen Auswurf: „Du Proll!“, für den noch das Schlusswort von meinem Mitbewohner: „Ich denke wir sollten die Pisser, die uns in die Schublade pressen, ununterbrochen wegprollen – und natürlich Saufen, Saufen, Saufen“

- in diesem Sinne, Prost!!!
Raubein

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