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Hauptsache wir haben mal drüber geredet!“


Sexismus - Über eine Debatte die den Namen nicht verdient


Was war geschehen? Was ist passiert?

Nach der Saison-Abschluss-Vereinsparty des Roten Stern im Juni kamen zum ersten mal Vorwürfe gegen Mitglieder des Vereins auf, sexistisches Verhalten zu tolerieren bis bewußt zu praktizieren. Konkrete Punkte waren der vom Verein organisierte Auftritt der Band Terrorgruppe, welche ihren Auftritt nutzte, um noch einmal nachhaltig klarzustellen, dass Frauen gefälligst ficken sollen und nicht Fußball spielen, sowie die Tolerierung sexistischer Sprüche auf der Party, welche von Vereinsmitgliedern nicht geahndet wurden. Der Reflex, wenn Frauen derartige Probleme ansprechen, ist ein altbekannter (auch sehr schön in der momentanen Conne Island-Diskussion nachzuvollziehen): Erstens kommen diese Frauen von außen, was haben die bitte schön zu sagen und zweitens machen die mit ihrem Sexismus-Scheiß unsere schönen Zusammenhänge kaputt. Im Folgenden wurde ein großes Sexismus-Plenum einberufen, welches genau das Ergebniss hatte, wie nahezu alle dieser Art Plenum: Einige Menschen formulieren Vorwürfe, andere schweigen kategorisch betreten (man hat sich ja noch nicht beschäftigt mit der Problematik) und wieder andere haben für sich persönlich ganz wichtige und völlig neue Erkenntnisse mitgenommen. Einig sind sich im Endeffekt alle: Schön, dass wir mal drüber geredet haben. Dass es dann bei diesem Reden auch wirklich geblieben ist, wen wunderts. Ein weiteres Sexismus-Plenum ist mehrheitlich von den Vereinsmitgliedern boykottiert worden (schließlich spielte Chemie-Leipzig), ein Text zur Problematik, der bis dato erscheinen sollte, liegt nicht vor, die beschlossene Diskussion im Donnerstag-Plenum blieb aus. Momentan stellt sich die Situation wie folgt dar: Die „Sexismus-Debatte“ ist beendet. Das zu verleugnen könnte man getrost Naivität nennen. Am Rande der „Sexismus-Debatte“ wurde die freundliche „alle haben sich lieb und wir können ja über alles reden“-Stimmung im Verein nachhaltig zerstört. Noch nie wurden Diskussionen in einer solchen emotionalen Intensität geführt wie diese - Immerhin ein positives Resultat der „Sexismus-Debatte“.

Worüber wird eigentlich geredet?

Das Hauptproblem der gesamten „Debatte“ bestand eigentlich in dem Fakt, dass nie klar war, worüber eigentlich geredet wurde. Bis heute ist nicht ersichtlich geworden, welchen Zweck die „Debatte“ haben sollte. Der oben beschriebene Eindruck verfestigt sich hier: Hauptziel der gesamten Auseinandersetzung war das „mal drüber reden“. So konnte sich die gesamte „Diskussion“ an den unendlichen Weiten der möglichen Auseinandersetzungen entlanghangeln: Was bedeutet der Begriff „Sexismus“, wie kann ich mich selbst als sexistisches Subjekt erkennen, welche geschichtlichen Implikationen enthält das Verhältnis, welche Rolle spielt Herrschaft, Definitionsrecht der Frau im Falle einer Vergewaltigung etc. Genau diese Dinge zu diskutieren und daraus folgend auch eine Position entwickeln zu können hat seine Berechtigung. In einem Verein jedoch, in dem sich lediglich ein Bruchteil der Mitglieder politisch engagiert, wird diese Auseinandersetzung von der Realität eingeholt. Für politische Gruppen, welche gegenüber der gesamten Gesellschaft eine Position vertreten, ist diese Auseinandersetzung, was Sexismus bedeutet, erheblich. Für Gruppen wie dem Roten Stern, die ein solches Selbstverständnis nicht besitzen, muss sich ein solcher Begriff noch viel mehr an konkreten Situationen messen lassen. Das abstrakte „darüber reden“, welche Facetten Sexismus annehmen kann, verträgt sich vorzüglich mit der Unfähigkeit, in konkreten Situationen sexistisches Verhalten zu erkennen bzw. anzugreifen. Schnell kann man sich in theoretischen Erörterungen verlieren, deren praktischer Bezug kaum zu erkennen ist. Ohne die Wichtigkeit einer theoretischen Auseinandersetzung leugnen zu wollen, ist der Zugang zur Problematik ein völlig falscher gewesen. Die schwerfällige Diskussion beim ersten Sexismus-Plenum ergab sich nicht unwesentliche aus der Frage: Was hat das alles mit mir zu tun? Diese zu beantworten muss jedoch das Anliegen einer erfolgversprechenden Diskussion um sexistisches Verhalten sein. Welche sexistischen Verhaltensweisen beim Roten Stern existieren muss erörtert werden, zudem welche Rolle sie spielen und was konkret von Seite der Vereinsmitglieder dagegen getan werden kann. Das ist bisher nicht einmal in Ansätzen vonstatten gegangen. Nur einige Punkte, die eventuell zu erörtern wären: Welche Verhältnis besteht zwischen Leistung(-sgesellschaft) und Sexismus? Welche Rollen spielen Männer und Frauen im Verein? Wie sieht die Außenwirkung des Vereins aus? Erst über die Thematisierung konkreter Punkte (vielleicht unter der Maßgabe struktureller Veränderungen im Verein) wird sich auch ein allgemeines Verständnis von Sexismus, welche Auswirkungen es hat und wie es einen selber (be)trifft, einstellen. Doch nicht allein das Verständnis, sondern die sich daraus ergebende konkrete Praxis ist entscheidend. Derzeit ist es aber jedoch eher so, dass nicht klar ist, worauf eine Diskussion um Sexismus hinauslaufen soll. Im Vorfeld des neuen Prasses Erben wurde beschlossen, dass mindestens drei Beiträge zum Thema erscheinen sollen, worum es jedoch gehen soll, bleibt den AutorInnen überlassen. An Beliebigkeit ist eine solche Auseinandersetzung nicht zu übertreffen, Hauptsache wir haben mal drüber geredet!

Wer sagt was, warum und wie?

Dass im Zuge der „Sexismus-Debatte“ tatsächlich Misstöne entstanden, teilweise verbissen diskutiert wurde, die Trennung von politischer Diskussion und persönlicher Sympathie desöfteren verschwamm, das haben solche Diskussionen nun einmal an sich. Das heißt nicht, dass das so sein muss, das heißt aber auch nicht, dass dies nun besondere Aufmerksamkeit verdienen würde. Dass es sich bei der „Sexismus-Diskussion“ um einen versteckten Angriff (wahrscheinlich auch noch lesbischer) Frauen auf die eigenen gemütlichen Zusammenhänge handeln könne, das wurde seltsamerweise nur zu Beginn behauptet, ist dieses „Argument“ doch meistens als erstes und auch dauerhaft zu Stelle. Schnell entdeckten einige in der Diskussion den Angriff linker Dogmatiker - ein eigenartiges Verschwörungsszenario. Meines Erachtens entsteht ein solcher Eindruck in der unterschiedlichen Wahrnehmung von Interessen und in der unterschiedlichen Herangehensweise an diese Themen. Genauer: Will sich der Rote Stern tatsächlich von anderen Vereinen unterscheiden, will er ein emanzipatives Projekt sein, ist eine Diskussion um Sexismus unumgänglich. Für einige im Verein besitzt das absolute Priorität. Die Ansicht ist, dass das Projekt Roter Stern mit der Auseinandersetzung um eigene sexistische Strukturen steht und fällt. In dieser Sichtweise ist diese Frage eine existentielle. Dass eine solche Frage dann nicht diskutiert wird, wie der Kauf von ein paar Fußballschuhen, dürfte sich von selbst erklären. Der Vorwurf, das Auftreten einiger Vereinsmitglieder im Zuge der Debatte sei dogmatisch bis diktatorisch, war nun schnell bei der Hand. Konkrete Vorwürfe kamen auf, dass einige wenige Personen des Vereins im Kopf hätten, was aus dem Roten Stern werden soll, andere Positionen nicht zugelassen würden. In der Tat ist es so, dass es informelle Hierarchien im Verein, besonders im Plenum gibt. Es wäre verlogen, zu behaupten, dies Scheiße zu finden. Ganz im Gegenteil ist es so, dass die Aussagen von Leuten, die nicht nur beim Plenum sind weil sie reden wollen, sondern weil sie Dinge konkret durchsetzen, mehr Gewicht haben. In der Tat wurden in der Vergangenheit von Leuten Dinge gegen den Widerstand derer durchgesetzt, die das dann schließlich zu tragen hatten. Leute, die nur reden und die Dinge, die sie fordern gar nicht durchsetzen, weil das ihnen zu weit geht, haben in einigen Diskussionen zu Recht eine wesentlich geringere Position. Der Vorwurf des Dogmatismus ist unsinnig, denn er hat per se keinen kritischen Inhalt. Ganz im Gegenteil sind Dogmen an der Tagesordnung linker Politik, sei es Antifaschismus, Antirassismus etc. Was konkret daran zu kritisieren ist, müsste einmal deutlicher herausgestellt werden, bevor inflationös mit diesem Begriff um sich geschmissen wird. Bezeichnend für die „Sexismus-Debatte“ war ebenfalls, wie versucht wurde, das Thema Sexismus für sich schnell zu verlassen. Ein ideales Sprungbrett hierfür bot die ebenfalls gerade laufende Debatte über das „Definitionsrecht der Frau“. Der Unwillen eine Sexismus-Debatte zu führen, zeigte sich bei verschiedenen Personen in dem plötzlichen Interesse, das Definitionsrecht der Frau zu diskutieren. Hier fand sich für nicht wenige endlich ein Punkt, an dem man argumentativ gefestigt gegen eine vermeintliche dogmatische Position kämpfen konnte. Das in der Tat nicht unproblematische Definitionsrecht wird als Projektionsfläche für die dahinterliegende Sexismus-Diskussion verwendet. Da spielt es keine Rolle, dass beim Roten Stern eigentlich eine Debatte über Sexismus und nicht über das Definitionsrecht geführt wurde. Entscheidender ist, beim Thema Definitionsrecht endlich wieder auf der richtigen Seite stehen zu können.

Die Realität nach der „Debatte“

Dass die „Debatte“ um Sexismus vorbei ist, wurde weiter oben schon erwähnt. Einige Punkte sind jedoch dennoch interessant. Frauen dürfen bei uns im Verein Fußball spielen, das haben wir ihnen großzügigerweise erlaubt. Mit uns zusammen jedoch nicht. Darauf legen wir Wert. Versuche, die Mär vom Männersport zu durchbrechen, wird es beim Roten Stern auf absehbare Zeit nicht geben. Warum die Frauen beim Roten Stern nicht öffentlich spielen oder mit Männern zusammen trainieren wollen, das bleibt wahrscheinlich ein ewiges Geheimnis, denn fragen warum das so ist, wird wohl niemand. Dafür stehen die Frauen aber bei Heimspielen auch immer brav hinterm Bierstand und zapfen das Bier für die großen Stars, die sich derweil im Ruhme von 250 ZuschauerInnen baden. Ansonsten ist der Stand der gleiche wir vor drei Monaten, als die „Sexismus-Debatte“ losgetreten wurde. Es hat sich weder strukturell noch inhaltlich irgendetwas verändert. Beim letzten Plenum wurde auch wieder diskutiert, dass Terrorgruppe unbedingt ein Lied über den Roten Stern machen müsse, was da mal noch war, das fiel niemanden auf. Wenigstens können wir sagen, wir haben drüber geredet, wir haben die Diskussion geführt, nun ist aber endlich wieder Schluss mit dem Scheiß, schließlich wollen wir ja aufsteigen!

Hans

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