Teams
Chronik
Dates
Fans
Stern Roter Stern


Linke auf Abwegen


Der moralisierende Anti-Sexismus hat sich von materialistischer Gesellschaftskritik verabschiedet


Die zum Schicksal der Linken avancierende Sexismus-Debatte hat vor einem Vierteljahr auch den Roten Stern erreicht. Bereits mit dem ersten Aufflammen waren Schreie, Tränen und persönliche Zerwürfnisse markante Begleiterscheinungen. Über die Etappe Sommercamp, wo bei abweichenden Ansichten das „Ende der Linken„ ausgerufen und die Kommunikation aufgekündigt wurde, ist die jetzige Situation durch Fraktionierung, Unverständnis und Abwendung gekennzeichnet. Deutlicher Ausdruck dessen ist etwa die klägliche Teilnehmerzahl des als Pflichtveranstanstaltung deklarierten zweiten Sexismus-Plenums. Auf dem Boden dieser Diskussionskultur des gegenseitigen Ressentiments soll nach Meinung der, mmmh, „antisexistischen Avantgarde„ die Austreibung des sexistischen Übels bis zur vollendeten Läuterung vorangetrieben werden. In höhnischer Einlösung des Slogans „Toleranz tötet„ zeichnet sich hier im kleineren Rahmen ein Szenario ab, welches in der bundesdeutschen Linken mit der Ächtung der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) seitens der Antifa-Organisation BAT und anderen berufenen Vollstreckern in Form von Überfällen, Kneipenverboten und Isolationsaufrufen zu beobachten ist.

Worum geht es im einzelnen? Zunächst einmal stiftete der Begriff Sexismus bislang große Verwirrung, da im gesamten Verlauf der Debatte eine präzise Definition von allen Beteiligten gescheut wurde. Daß dies für eine klare Abgrenzung zwischen Sexismus und Sexualität dringend notwendig ist, zeigt sich nicht nur daran, daß diese Selbstverständlichkeit nach unserer Einschätzung den „Fußballprolls der RSL-Männermannschaften„, die ja wohl als Adressaten der Kampagne gelten dürfen, noch nicht ansatzweise durchsichtig geworden ist. Welch absurde Blüten ein verqueres Sexismus-Verständnis treiben kann, welches mit „Sex„ ausschließlich „Sexualakt„ und nicht „Geschlecht„ verbindet, zeigte beispielhaft folgender Plenums-Dialog. Auf das symathische Bekenntnis eines jungen Mannes, er würde das Sommercamp aus dem nicht unwesentlichen Beweggrund besuchen, „nette Antifa-Frauen kennenzulernen„, wurde er von einer jungen Frau im vorwurfsvollen Tonfall, sie hoffe inständig, dies sei doch bitte nicht seine Hauptmotivation, zur Räson gerufen. Derartig bornierte Zurechtweisungen (weitere skurrile Highlights siehe "Interim"), welche den lustbekundenden Menschen an sein sittenstrenges Über-Ich erinnern, offenbaren eine puritanische Intention einiger Akteure.

Uns scheint eine sinnvolle Auslegung nahezulegen, unter Sexismus die traditionelle Rollenzuschreibung der Geschlechter zu verstehen. Das meint bezüglich der Frau in arbeitsteiliger Hinsicht die gesellschaftlich erzwungene (unentgeltliche) Zuständigkeit der Repoduktionssphäre (Hausarbeit, Kindererziehung) und zum anderen ihr sozialer Status als repräsentatives, vorzeigbares Anhängsel des Mannes, ihr einfühlsamer, zarter, zurückhaltender, irrationaler Charakter und all die anderen Attribute, die sie dem Idealtypus Frau näherkommen lassen und ihren „Gebrauchswert„ erhöhen. Diese über die Jahrtausende im Kern konstante patriarchale Realität ist von der Linken zwecks Überwindung zu benennen und theoretisch zu erfassen, wobei besonders die Ursprünge dieser historischen Entwicklung (biologisch determinierte körperliche Überlegenheit des Mannes ?) bislang völlig unterbelichtet blieben. Die Konstruiertheit der Geschlechter auf Grund wirtschaftlicher Bedürfnisse seit Anbeginn der Zivilisation steht indes außer Frage und Aufklärung darüber ist fraglos ein ureigenes Anliegen der Linken. Die Thematisierung dieses im Laufe der Sozialisation als naturgegeben hingenommenen Zustands ist in gewissem Umfang in der Lage, die eingeübte Rolle zu reflektieren und sich daraufhin von eingeschliffenen Verhaltensweisen zu lösen. Eine progressive Debatte könnte also sozial eingeimpfte Irrlehren aufdecken, verdrängten Bedürfnisse und unterschiedlichen Wahrnehmungen nachspüren, im Ergebnis die Distanz zwischen den Geschlechtern verringern.

In Rechnung zu stellen sind dabei jedoch die materiellen Gegebenheiten, die gesellschaftliche Bedingtheit des Individuums. Die Marxsche Erkenntnis, wonach die Menschen sich nicht selber, sondern gegenseitig machen, verbietet es, aus einer idealistisch fingierten Freiheit des Willens die Menschen in Gut und Böse zu teilen, sondern verweist auf eine existentiell notwendige vernünftige Einrichtung der Gesellschaft. Das aus der kapitalistischen Ökonomie resultierende warenförmige Bewußtsein läßt die Beziehung der Geschlechter selbstverständlich nicht unberührt.

"Die Menschen sind weich, sofern sie vom Stärkeren etwas wollen, abstoßend, sofern der Schwächere sie darum angeht. Das ist der Schlüssel zum Wesen der Person in der Gesellschaft bisher." konstatiert Adorno die im Kapitalismus auf die Spitze getriebenen Entfremdung. Die Wahrnehmung des Anderen als bloßes Objekt ist demnach kein spezielles Phänomen des Verhältnisses Mann-Frau, sondern strukturiert alle menschlichen Beziehungen. Diese Kälte zu durchbrechen, eine Person nicht als Mittel, sondern Zweck zu erfahren, vermag allein die Liebe, deren Agitation kein erfolgsversprechendes Rezept der Linken darstellen würde. Den von Sigmund Freud aufgedeckten mißglückten Prozeß der Sublimierung, die statt in geistige Energie umgewandelten, in unbewußte Regionen abgedrängten ursprünglichen Instinkte (für Freud zweifelhafterweise ausschließlich sexueller Natur), ist nicht allein durch Bewußtmachung entgegenzuwirken. Vielmehr begrenzt die durch zivilisatorische Versagung hervorgegangene verhärtete und narzißtische Verfassung der Menschen die Möglichkeiten reiner Aufklärung. Daß auch vor jenem Tag, an dem die Menschen ohne die Peitsche der Konkurrenz zu denken anfangen, ein Spielraum zur Verständigung und Verbesserung im überschaubaren Millieu bleibt, sei trotzdem nochmals betont.

Wie die Nutzung jenes Spielraums fehlschlägt, verdeutlicht sich beim Definitionsrecht der Frau. Aus dem berechtigten Anliegen bei szeneinternen Vergewaltigungen der Frau das entwürdigende Prozedere vor den regulären Gerichten zu ersparen, ist eine Regel ersonnen worden, deren mangelnde Plausibilität durch ein Denkverbot verschleiert werden soll. Jene totalitäre Verfahrensweise die Aussage der einen Person als objektive Wahrheit zu adeln, ohne der anderen irgendeine Verteidigungsmöglichkeit zuzugestehen, stempelt die Beteiligten qua Geschlecht zu Opfer und Täter. Wenn zu Recht die Hemmschwelle der Öffentlichmachung seitens der vergewaltigten Frau geltend gemacht wird, so folgt daraus nicht die abenteuerliche Behauptung das Mißbrauchsrisiko liege etwa bei 1 : 1000 und sei somit hinzunehmen. Nur wer die Frau an sich als unfehlbares und gerechtes Wesen einstuft, kann bestreiten, daß öfter als gewollt die unwiderlegbare Vermutung zur Fiktion werden kann. Die Konstruktion des Klarofix, daß wer auf die Mißbrauchsgefahr aufmerksam macht, Frauen per se der Lüge bezichtigt, wendet die eigene Argumentationslosigkeit gegen den Kritiker. Alle Szene-Teilnehmer sollen zu einem Kollektiv zusammengefaßt werden, welches ohne Kenntnis irgendwelcher Umstände zur Sanktionierung zu schreiten hat. Vor einer derartigen Entmündigung sollte es jedem grauen, der sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen kann. Es ist uns rätselhaft, warum es essentiell links sein soll, "im Namen des Szene-Volks" Urteile zu fällen. Wer sich dennoch auf das Gebiet der Jurisprudenz begibt, ohne einen objektiven Tatbestand zu Grunde zu legen, fällt selbst hinter bürgerliche Rechtsauffassung zurück.

Ein moralisierende Grundmuster, welches durch eine unerträgliche Situation (der staatliche Umgang mit Vergewaltigung), die Berechtigung ableitet, in hysterischer Entrüstung irgendein anderes totalitäres Prinzip zu etablieren, hat sich von linkem Politikverständnis entfernt.

Die Totalität der "Lösungsansätze" sowie die Radikalität der Disskussionskultur die als solche teilweise nicht mehr zu bezeichnen ist, führen, wie auch Justus Wertmüller und Uli Krug in einem bemerkenswerten Artikel (Bahamas, 32) aufzeigen, bei einer stattlichen Anzahl linker Szenegänger zu einer Reaktion, die für uns genauso nachvollziehbar wie verurteilenswert ist, nämlich dem sogenannten Tabubruch. Aufgrund der Unmöglichkeit einer konstruktiven Auseinanderstzung sobald ein laues Lüftchen der Kritik mitzuwehen scheint, "...wird gegen die triefende Verlogenheit bereits jetzt das gesamte Arsenal des Herrenwitzes in Anschlag gebracht."(ebn.)

Diese Tendenz ist auch in Leipzig zu beobachten. Doch wie wird darauf reagiert? Eine konkrete Selbstreflektion, wie ja immer von allen bezüglich ihres Rollenverhaltens gefodert, findet weder in theoretischen Ansprüchen noch in praktischer Politik statt.

Frauen igeln sich immer mehr im eigenen Zusammenhang ein, dehnen ihre hart und zweifelsohne zurecht erkämpften Freiräume ins Unendliche aus und identifizieren sich zunehmend mit ihrer Opferolle. Jüngstes Beispiel ist hier die vom Antifaschistischen Frauenblock Leipzig (AFBL) organisierte Veranstaltungsreihe unter einem Motto welches man mit "von Frauen, über Frauen, vor allem nur für Frauen" bezeichnen könnte. Dies ist eine neue Qualität von "Freiraum", die nicht nur leicht sondern begründetermaßen mit "Ausgrenzung" zu verwechseln ist. Im Erklärungstext zu dieser Taktik (Klarofix, #77) wird dann nicht nur Männern pauschal vorgeworfen "posige Analysen vor(zu)stellen" und die "Diskussion an sich (zu) reißen". Ein Verhalten, welches, wenn es als solches empfunden wird, im Einzelfall durch eine einfache Beschränkung des Rederechts bei Diskussionen nach Referatsende vorgebeugt werden könnte. Schlimmer noch, Frauen die im sexistischen (?) "Chor singen", realistisch heißt das wohl eher "nicht voll hinter der AFBL-Politik" stehen, wird vorgeworfen, sich aus Bequemlichkeit "zu arrangieren oder Augen und Ohren zu schließen", da sie ansonsten mit einer "Dissgefahr" konfrontiert würden. Unsere Erfahrung ist da eine andere.

Neben inhaltlicher Kritik (s.o.) stellt sich für uns auch die Frage wie sich ein Teil der sogenannten Linken, die sich die Ablehnung autoritärer Strukturen auf die Fahnen geschrieben hat und schreibt, beim Thema Sexismus in eben jene begibt, warum Frauen als auch Männer das Patriarchat scheinbar vom Neben- zum Hauptwiderspruch hochstilisieren, warum die Fronten so verhärtet sind, daß sie wieder und wieder zur Spaltung politischer Gruppen und sonstiger linker Zusammenhänge führen.

Antworten auf diese Fragen werden schwerlich zu finden sein. Da auch wir die Thematisierung sexistischer Zustände für wichtig halten, doch wie schon beschrieben den sich uns offenbarten Konsens sowie die Diskussionskultur an sich rigoros ablehnen, wollen wir Mutmaßungen über die Ursachen nicht aus dem Wege gehen. Für uns zeichnet sich folgendes Bild: Linkspolitisch aktive Menschen kämpfen seit Jahren, im Westen Jahrzehnten, an mehreren Fronten. Im Verhältnis zur eingesetzten Energie und Zeit ist das Ergebniss ein minimales. Die Zahl der Faschos steigt von Jahr zu Jahr, Rassismus und Wohlstandchauvinismus werden nach wie vor von breiten Bevölkerungsschichten getragen und scheinen gleichermaßen von Staat und Medien intendiert, das kapitalistische Weltsystem erscheint in bislang ungeahnter Schärfe und Stärke.

Die Reaktion vieler darauf ist nicht etwa die Infragestellung der eigenen Strategien, sondern bewußte und unterbewußte Frustration, die unserer Ansicht nach auch insoweit verarbeitet wird, daß man sich auf Themen konzentriert bei denen "noch was geht". Und da sind wir wieder: Anti-Sexismus. Während "szeneinterne" Diskussionen über Rassismus, Faschismus oder Antisemitismus kaum noch geführt werden müssen, gibt es bezüglich Sexismus noch Defizite. Dabei wird nicht nur die auch bei anderen Themen vorhandene Problematik der fehlenden gesellschaftlichen Einflußnahme bewußt, sondern aufgrund der schwierigen Umsetzung wahrhaft antisexistischer Strukturen selbst in der "Szene" wird dieses Problemfeld nicht mehr nur als wichtig, sondern als existenziell erachtet. Gemeint ist die Existenz(berechtigung) der Linken an sich und unabdinglich einzuschließen sei hier z.B. die Durchsetzung des oben beschriebenen Definitionsrechts der Frau. So wurde die AAB in der schon erwähnten Auseinandersetzung nicht nur aus dem BAT verwiesen, sondern sie haben laut Erklärung auch "jeden linksradikalen Anspruch verloren".

Was geschieht hier? In eine Problematik, deren Aufarbeitung nicht nur Zeit und Feingefühl braucht, da sie mit der Sozialisation eines jeden brechen muß, sondern bei der vor allem auch die Zusammenarbeit aller vonnöten ist, wird scheinbar die eigene radikale Einstellung projeziert, um das Gefühl haben zu können, doch noch etwas zu verändern. Zum Schluß und v.a. in Bezug auf die noch anstehende Diskussion innerhalb und außerhalb des Roten Sterns wünschen wir uns, daß sich auch diejenigen hinterfragen, die der Meinung sind, diesen Prozess schon abgeschlossen zu haben. Desweiteren sollte durch Ausräumung persönlicher Vorbehalte auf eine emotional abgekühltere Diskussionskultur hingearbeitet werden, die einem jeden die Möglichkeit eröffnet, sich frei zu äußern und auch vorhandene Dogmen in Frage zu stellen.

nach oben

zurück zur Übersicht

www.roter-stern-leipzig.de / Datenschutz/Impressum/Kontakt