Abenteuer Bundesliga
Wir alle haben es so gewollt. Ob nun völlig am braunweißen
Virus erkrankt oder lediglich leicht verschnupft, wir fieberten dem finalen
Showdown in Nürnberg entgegen, den Neunzig langen Minuten um alles
oder nichts. Nichts - mal abgesehen von einer großartigen Saison
eines kultigen Teams mit weitaus mehr Höhen als Tiefen, mit den meisten
Treffern aller Profivereine usw., eine neue Euphorie in Verein und Anhängerschaft
auslösend. Aber bleiben wir ehrlich, wen würde das heute noch
wirklich interessieren ?! Die abgelaufene Saison war nach ihrem Verlauf
förmlich dazu verdammt, durch ein echtes Happy End zum (Fußball-)
Märchen zu avancieren, sich durch den Aufstieg in die Geschichte
des Vereins zu meißeln. Das Ergebnis ist bekannt. Daß am Ende
ausgerechnet ein Vertragsamateur einen Eurpopameister (endlich a. D.)
überwindet und so die ärmste aller professionellen Kirchenmäuse
in die Beletage des deutschen Fußballs führt, paßt da
nur zu gut ins Bild.
Ich denke, ich empfand eine Sommerpause noch nie als so überflüssig
wie in diesem Jahr. Mit dem FC St. Pauli in die erste Liga durchstarten,
daß konnte eigentlich nur groß werden. Endlich wieder diese
fetten Brocken, Bayern, Hertha, der BVB etc. Eine Freude sich mit diesen
derbsten Auswüchsen des Geschäftes auseinander zu setzen, ihnen
vielleicht hin und wieder den ausgestreckten Mittelfinger präsentieren
zu können. Doch unter gierigen Haien schwimmt es sich meist ungesund,
daß die laufende Saison vom ersten Anstoß an nur reinster
Überlebenskampf werden konnte, war natürlich klar. Wieder hat
der FC St. Pauli mit Abstand die wenigste Kohle, der Etat ist gerade mal
halb so hoch wie der von Cottbus. Logisch, daß der Verein keine
wirklich bekannten Neuzugänge präsentieren konnte. Neue Leute
wie Oliver Held oder Jochen Kientz konnten sich in jüngster Vergangenheit
nicht wirklich in der Bundesliga durchsetzen, saßen in Schalke nur
auf der Bank bzw. flüchteten ins exotische Österreich. Auch
der teuerste Neuzugang der Vereinsgeschichte, der als hoch talentiert
geltende Türke Ugur Inceman, konnte sich bisher noch nicht an die
raue Erstligaluft gewöhnen. Aber es gibt glücklicherweise auch
Spieler, die bereits in den ersten Spielen beweisen konnten, daß
sie wirkliche Verstärkungen sind. Torwart Tihomir Bulat ist bisher
zweifelsohne der überragende Mann im Team und auch Moudachirou Amadou
füllte seine Position in der Abwehr grundsolide aus.
So erklärt sich auch der vielleicht überraschende Punktgewinn
der Kiezkicker im ersten Spiel gegen die alte Dame aus Berlin, Hertha
BSC, die eine überragende Pre-Season hingelegt hatte, gekrönt
vom Gewinn des Liga-Cup`s (zählt `nen absoluten Scheiß). Bulat
flog und fäustete sich dort förmlich in die Herzen des braunweißen
Anhangs und hielt den Punkt fest. Nach dem Spiel kam es dann zu Übergriffen
von Hertha-Faschos auf St. Paulianer. Obwohl zu diesem "Problemspiel"
ein großes Bullenaufgebot aufgefahren wurde, gelang es ca. 50 Faschohools
zum St. Pauli - Clubheim vorzudringen und dort wahllos auf die Leute einzuschlagen.
Die Bullen stellten sich dabei wohl dermaßen unfähig an bzw.
taten gar nichts, daß in Fankreisen sogar die Vermutung aufkam,
dies wäre absichtlich so passiert, um im Nachhinein das Verlegen
von anderen besonders brisanten Begegnungen unter sicherheitstechnischen
Aspekten in die AOL-Arena des HSV rechtfertigen zu können. Soweit
ist es zum Glück dann aber doch nicht gekommen, sowohl die Ostclubs
als auch die Bayern müssen am Millerntor antreten.
Beim ersten Auswärtsspiel in Wolfsburg fand sich dann auch erstmals
in der laufenden Saison eine Abordnung des Roten Stern ein. Sehr reich
an Erkenntnissen war dieser Trip sicherlich nicht. Ein Nest, vom VW-Konzern
zu einer lächerlichen Stadt hochgezogen, ein häßliches
Stadion, eine City in der du Ewigkeiten suchen mußt, wenn dich gerade
mal der kleine Hunger überkommen hat. Und natürlich fahren 19
von 20 Eingeborenen das, was sie die Woche über am Fließband
zusammen schrauben.
Kurz nach dem Anpfiff erzielt U21-Nationalspieler Christian Rahn sein
erstes Bundesligator und damit die Führung für St. Pauli. Rund
3000 Gäste hofften nun fast 80 Minuten auf den ersten Auswärtssieg.
Das größte Talent des Kiezvereines, schon mit Vorvertrag beim
HSV, ist es dann auch, das kurz vor Ultimo äußerst konzentriert
seinen Gegenspieler dabei studiert, wie dieser zum Ausgleich einnickt.
Sense.
Mit großer Zuversicht machen wir uns `ne Woche später auf gen
Hamburg, gegen den verhaßten Erzrivalen aus Rostock sollte der erste
Dreier doch locker drin sein! Unterwegs kommt Panik auf. Nicht daß
uns ein Kamikaze - Jumbo ins Visier genommen hätte, doch es zeichnete
sich ab, daß wir es trotz Eisenfuß SannyBunny nicht zur vereinbarten
Zeit bis zum Fanladen schaffen würden um unsere Karten entgegen zu
nehmen. Diese werden für uns unkomplizierterweise am Tresen des Jolly
Roger hinterlegt, so daß wir doch noch genau zum Anstoß das
Stadion erreichen. Während mich draußen noch die lüsternen
Pfoten eines Bekos - Angestellten abtasten, erklingt drinnen bereits AC/DC´s
"Hells bells", zu dem die Mannschaften stets ins tobenden Millerntor
einlaufen. Ich kotze, diesen geilen Moment zu verpassen. Die Gegengerade
ist natürlich längst völlig zugestellt, so daß uns
nur ziemlich miese Plätze unten am Zaun bleiben. Das alles bei "bestem"
Hamburger Wetter, es hätte nicht besser losgehen können. Die
mitgereisten Hanseaten aus der Hansestadt Rostock lassen gleich zu Beginn
der Begegnung ordentlich Dampf ab, sprich nebeln die ganze Südkurve
und damit hauptsächlich sich selbst ein. Dies quittieren die gastgebenden
Hanseaten der Hansestadt Hamburg zu meiner Überraschung größtenteils
mit schäumenden Wutausbrüchen und albernen "ihr seid doof"
- Gesängen. Hää, ich dachte ich bin hier bei St. Pauli?!
Kommt nicht gerade von St. Pauli-Fans ständig der Fingerzeig nach
Italien und der Ruf nach ausgefallener extravaganter Stimmung?!? - Dies
schließt ja wohl Pyrotechnik mit ein, oder?! Ich hätte so eine
Reaktion am Millerntor von einem Großteil der Leute auf so`ne harmlose
Nebelaction echt nicht erwartet. Noch beschissener waren allerdings irgentwelche
Penner, die die ganze Zeit `was von "Ossipack" lamentierten,
das sich vom Millerntor verpissen sollte. Dann soll ich wohl besser gehn
oder was?! Tja, auch in der töften Gegengerade am Millerntor kann
man neben absoluten dummen Abschaum stehen. Im Gegenzug hab´ich
übrigens nicht einmal irgentwelche Nazischeiße von Hansaseite
gehört.
Nach ca. 20 Minuten brachte Beierle die konzentriert aufspielenden Rostocker
in Führung, für die Hansa - Fans gab es nun natürlich kein
Halten mehr, sie sollten das Treffen am Ende auch auf den Rängen
deutlich für sich entscheiden. Obwohl die Braunweißen den Rest
des Spieles deutlich überlegen gestalteten und auf den Ausgleich
drückten (3mal Pfosten spricht für sich) wachten die Fans nie
wirklich auf, was ja wohl nicht nur am Fehlen des promillehaltigen Gerstensafts
(Auflage nach dem Hertha-Spiel) liegen kann?! - Phu, wenn nicht zu Hause
gegen Hansa, gegen wen dann???
Die Woche drauf hieß es auf nach München zum Spiel beim Rekordmeister.
Auf der A9 zogen uns dann die Bullen raus und wir durften uns den Parkplatz
mit einigen Autobesatzungen Nazis teilen, obwohl wir doch gar nicht vorhatten
nach Wunsiedel zu fahren um Rudolf Hess zu gedenken. Dank dieser Schaumkombination
waren wir immerhin schon 20 Minuten nach Anpfiff im Stadion, die Bleiern
führten bereits. Das Vernünftigste wäre es sicherlich gewesen
sofort wieder nach Hause zu fahren. Wir waren noch nie im Olympiastadion
(irgentwie schon leicht beeindruckend aber doch voll beschissen) gewesen
und wollten uns nun auch den Ground holen. Wirklich schlimm waren allerdings
die Leute, zwischen denen man dort sitzen mußte. Der Gästeblock
war bei unserem Eintreffen längst ausverkauft gewesen, so daß
wir es uns daneben gemütlich machen durften inmitten von Heerscharen
von 12-15jährigen Scholls, schnauzbärtigen Vätern mit kindlichen
Tarnats, lächelnden Yuppies und sich maßlos überschätzenden
Make Up - Testflächen.
Am Ende gewannen die Bayern 2:0 und hatten dabei wohl kaum mehr als die
Hälfte ihres Leistungspotenzials abrufen müssen. Die Punkte
müssen woanders eingefahren werden.
Nach zwei Wochenenden ohne Fußball vom Kiez (St. Pauli war zwischenzeitlich
gegen den Drittligisten Darmstadt aus dem Pokal geflogen) fand ich mich
mit Raik kurz nach Fünf in der Frühe auf unserm geliebten HBF
wieder, wo wir alsbald entzückt feststellten, daß wir sämtliche
Züge bis nach Hamburg mit Freunden des Chemnitzer FC teilen durften,
welche an diesem Tage in Kiel verlieren sollten. Hoch erfreut darüber
rieben wir uns sogleich die Hände und den Schlafsand aus den Augen.
Aber so wirklich schlimme Schweine waren das doch gar nicht, keine Boneheads,
kein Adolf Hitler-Fanclub, sondern nur typische deutsche Fußballprolls,
latent rassistisch und stock dumm. Die haben noch nicht mal die mitreisenden
Schwarzen zusammengelegt und einige von ihnen freundeten sich später
sogar mit bunthaarigen Ärzte-Fans (allerdings auch sehr dumm) an,
welche zum DÄ-Gig nach Westerland unterwegs waren. Diese Chemnitzer
waren sehr vergleichbar mit dem typischen "auswärts-mit-dem-Zug"
- Chemiepöbel.
Bei St. Pauli fehlten bei dieser Begegnung gleich die beiden südamerikanischen
Stürmer Cenci und Marcao verletzt, was die Hoffnung auf ein Ende
der Torflaute nicht gerade nährte. Letzterer hat übrigens für
Spartak Moskau bereits in der Championsleague gespielt. Allerdings mußte
auch der Meister der Herzen, von Gott und der Welt verratene, vom DFB
beschissene und wasweißichnochalles FC Schalke 04 auf seinen Traumsturm
Sand und Mpenza komplett verzichten. St. Pauli konnte das Spiel gegen
die einmal-Meisterschaft-und-zurück-in-nur-4 Minuten - Schalker sogar
leicht dominant gestalten und strahlte auch etwas mehr Gefahr aus. Am
Ende entschied der Vizemeister die Begegnung trotz schlechtem Wetter durch
zwei Tore aus heiterem Himmel, jeweils vom ambitionierten Victor Agali,
für sich. Pustekuchen.
Wieder kein Tor, wieder keine Punkte - so langsam wird es ernst. Gerade
die Offensivabteilung, im letzten Jahr noch so erfolgreich, läßt
arg zu wünschen übrig. Marcel Rath rackert sich zwar stets einen
ab, strahlt aber kaum Torgefahr aus. Bleibt zu hoffen, daß sich
dort der Brasilianer Marcao entscheidend in Szene setzen kann. Trotz der
roten Laterne möchte ich an dieser Stelle das bisher Gebotene nicht
gänzlich schlecht reden. Die Abwehr steht meist recht passabel und
mit etwas mehr Glück, gerade gegen Rostock und in Wolfsburg, wäre
auch das Punktekonto mehr als stimmig. Vielleicht bringt ein vielbeschworenes
Erfolgserlebnis den Knoten endlich zum platzen, wird das Millerntor noch
zur Festung. Klar ist, nur wenn alle, Mannschaft wie Fans, wieder am Limit
"arbeiten" kann es am Ende wieder etwas zu feiern geben. Oi!
Und aus.
Manager
www.fcstpauli.de
www.stpauli-fanladen.de
www.karo-family.de
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